861. Es erwischte mich um elf Uhr zwanzig (Mann und Manni 15)

Es erwischte mich um elf Uhr zwanzig

Es war eine grauenhafte Nacht gewesen. Ständig wurde ich von düsteren Träumen gequält, in denen ich mich in einem riesigen Baumarkt befunden hatte und dort Sport hatte treiben müssen.
Sport! Ich! Das muss man sich mal vorstellen. Das sind zwei Dinge, die überhaupt nicht zusammen passen. Das man in einem Baumarkt keinen Sport treibt, ist dabei noch zu vernachlässigen.
Ein paar meiner Mitbewohner würden glatt behaupten, dass mir Sport gut tun würde. Sie würden auf meinen stattlichen Bauch verweisen und meine mangelnde Fitness.
Pah! Die haben doch alle keine Ahnung. Ich bin nicht dick. Ich habe nur ein sehr dichtes und dickes Fell. Damit wirkt man halt etwas rundlicher.
Moment! Du fragst dich jetzt wohl, warum ich ein Fell besitze. Nun, das ist ganz einfach erklärt. Es handelt sich dabei natürlich nicht um einen Pelzmantel oder dergleichen. Das gehört sich nicht. Sowas trägt man nicht. Es würde ja auch kein Tier auf die Idee kommen, sich einen Mantel aus Menschen herzustellen. Aber das ist eine andere Sache.
Ich selbst darf natürlich einen Pelz oder ein Fell tragen, denn ich bin ein Kater. Zu mir gehört einfach ein Fell. Meines ist grau gestreift. Damit sehe ich fast aus, wie ein alter, weiser Tiger. Na gut, ein kleiner Tiger.
Mein Name ist Manni und ich bin hier der Herr im Haus, der Chef meiner WG, die ich mir mit ein paar wirklich sehr verrückten Figuren teile. Doch dazu komme ich etwas später. Jetzt geht es erstmal um meine Träume, die mich nicht hatten schlafen lassen.
Ich wachte also ziemlich gerädert auf. Der Rücken tat mir weh, meine Schultern waren verspannt. Dazu kam noch dieses widerliche Hungergefühl, unter dem ich eigentlich jeden Morgen litt.
Mühsam kletterte ich von meinem Kratzbaum herab, streckte mich und buckelte kurz meinen Rücken. Dann sah ich mich nach meinem Frühstück um.
Mein persönlicher Fressnapf, an dem sich keine andere Katze vergreifen durfte, war noch nicht gefüllt worden. Aber, um ganz ehrlich zu sein, hatte ich damit auch nicht gerechnet. Der klang einer Dose, die gerade geöffnet wird, ist mir so ins Gehirn eingebrannt, dass ich davon auch aus den tiefsten Träumen gerissen werde.
Ich setzte mich also brav vor die Schüssel und wartete auf das Erscheinen der Frau, die ein Teil meiner WG war und regelmäßig das Futter nachfüllte. Sie kam aber nicht.
Ich war sehr verwundert. Dieses Verhalten passte so gar nicht zu ihr. Sonderbar.
Ich erhob mich also wieder und sah mich neugierig um. Irgendwo musste sie doch sein. Dabei fiel mir etwas Seltsames auf.
Alle Möbel des Wohnzimmers waren verrückt worden.
Nein! Nicht das, was du jetzt bei der Lektüre meines Berichts denkst. Die Möbel waren natürlich alle komplett bei Sinnen, aber sie standen nicht mehr an ihren gewohnten Plätzen. Jemand hatte sie an die Wände geschoben.
Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Dass mir das nicht schon vorher aufgefallen war. Das musste daran liegen, dass ich die halbe Nacht nicht gut geschlafen hatte.
Ich trottete ins Schlafzimmer. Fehlanzeige. Die und der Mann waren verschwunden.
Ich suchte die einzelnen Schlafplätze der restlichen Mitbewohner ab. Der ängstliche Bengale, die durchgeknallte Mini-Mietze und der sabbernde Lord Schweinenase, der immer irgendwelche Futterreste im Gesicht kleben hatte, waren ebenfalls nicht hier.
Ich begann an meinem Verstand zu zweifeln. Es hatte noch nie einen Tag gegeben, an dem alle gleichzeitig ausgeflogen waren. Wir Katzen verließen eh nur dann unsere vier Wände, wenn es zum Tierarzt ging. Bei diesem Gedanken bekam ich sofort eine Gänsehaut. Hätte ich kein dichtes Fell besessen, hätte man das in diesem kurzen Augenblick wunderbar sehen können. So blieb mir die Peinlichkeit des Moments aber erspart.
Ich schüttelte den Kopf. Ich war allein. Es hätte mich eh niemand sehen können.
Plötzlich hörte ich ein Geräusch. Die Wohnungstür wurde geöffnet. Jemand kam herein. Waren das meine Mitbewohner oder vielleicht doch ein Einbrecher?
Ich zog mich in eine dunkle Ecke zurück. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es zwanzig Minuten nach elf war. Das konnte später noch einmal wichtig sein, sollte ich auf dem Polizeirevier eine Aussage machen müssen.
Es war also elf Uhr zwanzig, als es im Flur hinter der verschlossenen Wohnzimmertür rumpelte. Wurde da schon das erste Diebesgut abtransportiert?
Ich spürte, dass ich etwas unternehmen sollte. Als erfolgreicher Ermittler des Superteams Mann und Manni, durfte ich nicht tatenlos zuschauen.
Ich nahm Anlauf, sprang in die Höhe und drückte die Klinke herunter. Die Tür öffnete sich. Ich konnte sofort sehen, was sich da tat.
Es waren die beiden Menschen, die gerade mehrere Kisten herein brachten. Die anderen drei Katzen der Wohngemeinschaft liefen immer wieder neugierig hin und her.
Ich atmete auf. Kein Einbrecher. Nicht, dass ich Angst gehabt hätte, aber so musste ich mir nicht in einem schnellen Kampf die Pfoten schmutzig machen.
Sie brachten die Kartons herein. In mir keimte bereits die Hoffnung auf neues Spielzeug, dass ich mit der Kraft meiner Krallen zerfetzen durfte. Doch die Freude währte nur sehr kurz.
Im Innern der Kartons befanden sich, wie ich Sekunden später feststellen musste, Fitnessgeräte. Es waren verdammte Fitnessgeräte für Katzen.
Wer kam nur auf so eine dämliche Idee?
Meine felligen Mitbewohner waren natürlich sofort begeistert. Alles verdammte Verräter.
Lord Schweinenase war der erste, der damit begann, seine Muskeln zu stählen. Die Mini-Mietze führte eindrücklich vor, dass ihr Körper kein Training brauchte, denn sie wirbelte die Kartons durcheinander und raste ungebremst durch die Pappe, die danach aussah, als hätte jemand die Silhouette einer Katze heraus geschnitten. Selbst der sonst so ängstliche Bengale saß bereits auf dem ersten Trainingsgerät und probierte aus, wozu seine vier Beine zu gebrauchen waren.
»Ihr seid Gott verdammte Verräter!«, schnauzte ich sie an. »Das habt ihr mit Absicht gemacht!«
Meine Beschwerden wurden nicht erhört. Die Frau schnappte mich mit ihren Händen, setzte mich auf ein weiteres der Geräte und achtete penibel darauf, dass ich meine Übungen machte.
Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass ich das Gefühl bekam, sterben zu müssen. Ich hasste Sport. Jetzt hasste ich ihn sogar noch mehr.

(c) 2020, Marco Wittler


Image by GraphicMama-team from Pixabay

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