872. Die Angst saß uns im Nacken (Mann und Manni 22)

Der Angst saß uns im Nacken

Die Panik stand mir in den weit aufgerissenen Augen geschrieben. Ich wusste nicht mehr ein noch aus. Sämtliche Fluchtwege waren mir versperrt. Rechts, links, hinter mir nur Wände, vor mir das nackte Grausen, dass immer näher kam. Auch meine drei Begleiter konnten nichts mehr daran ändern. Wir hatten verloren.
Aber ich greife der ganzen Sache vor. Du möchtest bestimmt erfahren, was uns vier Mietzekatzen widerfahren war.
Wir lagen im Schlafzimmer. Wir hatten zu viert das große Bett erobert und schliefen tief und fest nebeneinander auf der kuschelig weichen Decke. Unsere menschlichen Mitbewohner hatten die WG verlassen, um für unser tägliches Futter arbeiten zu gehen. Wir warteten derweil darauf, dass sie pünktlich zur Fütterungszeit zurück kamen.
Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass die Fütterungen bei uns die wichtigsten Ereignisse des ganzen Tages darstellten. Schon bei dem Gedanken an das letzte Frühstück, stahl sich ein lauter Rülpser aus meinem Hals. Ob er echt war oder nur ein Teil meines aktuellen Traumes, konnte ich im Nachhinein nicht mehr sagen.
Wir schliefen also gemeinsam im Bett, als uns ein Geräusch wach machte. Jemand hatte die Eingangstür geöffnet.
Ein schneller Blick auf die Uhr auf dem Nachttisch zeigte, dass es viel zu früh für eine Rückkehr der Menschen war. Es konnte sich also nur um einen Einbrecher handeln.
Ich stand auf, gab den anderen drei Mietzen zu verstehen, dass sie sich unauffällig im Hintergrund halten sollten.
Ich schlich zum Flur, kroch langsam durch den Türrahmen und sah um die Ecke. Sekundenaugenblicke später stellte sich mein ganzes Fell auf. Ich bekam eine extrem fette Gänsehaut.
»Schnell!«, rief ich den anderen zu. »Macht euch aus dem Staub. Der Teufel persönlich ist hinter uns her.«

Sofort sprangen sie auf. Lord Schweinenase, der noch immer einen Rest vom Frühstück auf der Nase spazieren trug, die sonst so mutige Mini-Mietze und allen voran der überängstliche Bengale. Dieses Mal sollte seine Angst berechtigt sein.
Sie rannten, kamen auf mich zu, nahmen mich in ihre Mitte. Gemeinsam umkurvten wir die Beine der grausamen Neuankömmlinge und flüchteten aus der WG.
Auf dem Gehweg vor dem Haus blieben wir stehen, holten Luft und sahen uns um. Wir wähnten uns in Sicherheit. Doch dieses Gefühl trog uns. Die teuflischen Gestalten waren uns gefolgt. In ihren Händen hielten sie Käfige, in die sie uns wohl sperren wollten.
Wir warteten nicht länger, sondern nahmen alle sechzehn Pfoten in die nicht vorhandenen Hände und sprinteten weiter.
Es ging die Straße entlang, immer weiter Richtung Stadtzentrum. Wir bogen im Lauf in die Hauptstraße ein und sahen unsere sichere Rettung. Die Straßenbahn hielt gerade an und öffnete ihre Türen.
»Mir nach! Springt in die Bahn!«
Meine drei Begleiter und ich retteten uns. Wir versteckten uns unter den ersten freien Sitzen. Ich sah schon, wie sich die Türen wieder schlossen, als eine Hand dazwischen fuhr.
Sie hatten uns entdeckt. Sie waren uns bis hierher gefolgt. Diese grauenhaften Kreaturen stiegen ebenfalls in die Bahn ein, suchten nach uns.
In diesem Moment wusste ich, dass wir verloren hatten. Nun gab es keinen Ausweg mehr. Trotzdem kroch ich weiter in den dunklen Schatten des Sitzes.
Eine Hand griff nach mir, zerrte mich ins Freie und stopfte mich in einen Käfig. Meine drei Gefährten folgten. Dann brachte man uns hinaus auf die Straße und zurück in die WG.

Ich ahnte das Schlimmste. Sie hatten uns in der Hand. Nachdem sich die Tür unserer sonst so sicheren Wände schloss, holte man uns heraus. Ich war der Erste. Verzweifelt sah ich in die Augen der Schwester des Mannes, der Teil unserer WG war. Daneben saß seine Nichte.
»Kuscheln!«, rief das Mädchen, nahm mich auf den Schoß und kraulte mir den Bauch.
Verdammt! Das war richtig, richtig gut. Ich begann sofort zu schnurren.
Vielleicht hatte ich mit unserer Flucht doch etwas überreagiert. Aber das war Schnee von gestern.

(c) 2020, Marco Wittler

Image by OpenClipart-Vectors from Pixabay

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