Er griff in ein Tintenfass
Es war eine ruhige und ereignislose Nacht. Das kam äußerst selten vor, denn normalerweise war ich damit beschäftigt, irgendwelche Kriminalfälle mit meinem Assistenten zu lösen.
An dieser Stelle passt es gut, meinen Bericht zu unterbrechen, um uns vorzustellen: Wir waren Mann und Manni. Dabei war ich zwar der zweite Part, aber auch nur, weil es in dieser Reihenfolge besser klang. Der Mann war lediglich meine helfende Hand, mein Assistent. Ihm fehlte halt der kombinatorische Geist, über den ein erfolgreicher Ermittler verfügen sollte. Trotzdem wollte ich seine Gesellschaft nicht missen.
Ich lag auf meinem Katzenkratzbaum, wurde langsam wach und sah mich erstmal um. Lage checken. Überprüfen, ob bereits das Frühstück serviert worden war.
Ergebnis: negativ. Die Frau , die Teil unserer WG war, musste wohl noch im Bett liegen und schlafen. Also konnte auch ich noch auf meinem Schlafplatz verweilen.
Als pflicht bewusster Ermittler behielt ich auch zu diesem Zeitpunkt die gesamte Umgebung, inklusive des Gartens hinter den Fenstern, im Auge. Trotzdem dauerte es eine Weile, bis mir etwas ins Auge fiel. Auf dem Fußboden des Wohnzimmers waren Spuren zu sehen. Es waren die schmutzigen Abdrücke einer Katze.
Mein erster Gedanke ging hin zu meinem Bruder. Lord Schweinenase, der an den ständigen Futterresten an seinem Riechkolben zu erkennen war, zog Dreck magisch an.
Ich wollte diese Spur zuerst nicht weiter beachten. Aber dann juckte es mich in den Krallenspitzen. Notgedrungen, weil mich die Neugierde dazu trieb, kletterte ich vom Kratzbaum herab und betrachtete die Abdrücke etwas genauer. Sie sahen seltsam aus, passten irgendwie nicht hierher.
Ich hielt meine Nase darüber, schnüffelte an ihnen. Diesen Geruch kannte ich nicht. Ich war überzeugt, dass sich hier ein völlig fremder Kater aufgehalten hatte.
Sofort schrillten bei mir alle Alarmsignale. Einbrecher! In unserer WG. Ein Ding der Unmöglichkeit. Eigentlich. Aber sollte ja niemals nie sagen.
Ich lief schnell zur Futterstelle. Ich überprüfte die Schüsseln. Aber es war nichts gestohlen worden. Trotzdem musste es einen Grund geben, warum sich jemand den Zutritt zu unserem Allerheiligsten verschafft hatte.
Ich trommelte einen Teil meiner Mannschaft zusammen. Trotz der frühen Stunde war der Mann schon aufgestanden und saß in seinem Arbeitszimmer.
Ich suchte ihn auf, setzte mich auf seinen Schreibtisch und gab ihm die Anweisung, sich nicht vom Fleck zu bewegen. Er sollte die Umgebung von seinem Platz aus im Auge behalten.
An unsere Seite gesellte sich auch Lord Schweinenase. Er war zwar nicht der Allerklügste, eher das Gegenteil, aber seine Körpergröße sollte so manchen Gegner in die Flucht schlagen.
Auf die hyperaktive Mini-Mietze verzichtete ich vorerst. Ihr Temperament war einfach nicht zu kontrollieren und hätte die kommenden Ermittlungen stören können. Auch auf den extrem ängstlichen Bengalen verzichtete ich dankend. Zitternd in der Ecke hocken war keine Eigenschaft, mit der man Verbrecher jagen konnte.
Gemeinsam überlegten wir, wie wir dem Täter eine Falle stellen konnten. Unsere Beratungen ergaben, dass wir auf weitere Spuren warten mussten. Da wir das nicht schnell genug ging, brauchte ich zügig weitere Erkenntnisse. Kurzerhand warf ich das Tintenfass des Mannes vom Schreibtisch, sah fasziniert dabei zu, wie die blaue Farbe eine große Pfütze auf dem Fußboden bildete.
Der Mann war allerdings nicht so ganz von meinem Plan überzeugt. Er hatte seine Tinte eigentlich für einen Brief gebraucht, der er schreiben wollte. Es brauchte eine Weile, bis er meine Beweggründe verstand.
Nun war es Zeit, sich auf die Lauer zu legen, auf den Einbrecher zu warten.
Ehe ich mich auf den Weg in mein Versteck, einem Pappkarton, machen konnte, jagte ein Blitz an mir vorbei. Er war so schnell, dass sogar das Briefpapier des Mannes vom Schreibtisch geweht wurde.
Völlig überrascht sah ich auf den Flur hinaus. Was war das nur gewesen? Lediglich die blauen Fußspuren wiesen auf eine Katze hin.
Sekunden später kam das Phänomen wieder auf uns zu. Ich stellte mich dem Blitz in den Weg, doch er sprang völlig unbeeindruckt über mich hinweg.
»Wer ist das?«, war ich verblüfft.
»Komm heraus und zeig dich!«, rief ich der unbekannten Katze hinterher. Ich hoffte, dass er oder sie sich zeigen würde.
Etwas Braunes kam in atemberaubendem Tempo auf mich zu, blieb nur wenige Zentimeter vor mir stehen.
Es war ein Kater, mit gepunktetem Fell. Auf dem Rücken trug er ein schwarzes Cape mit einem mir unbekannten Logo, das mich sehr an einen Superheldencomic erinnerte. Das Gesicht war durch eine Augenmaske verschleiert.
Ich musterte den Unbekannten. Er erinnerte mich an … Nein! Nein, das konnte einfach nicht sein. Das wollte ich nicht glauben. Aber es konnte nicht anders sein.
»Du bist doch der …«
Er legte mir eine Pfote auf mein Maul.
»Sprich es nicht aus. Es soll mein und dein Geheimnis bleiben. Ab jetzt wirst du einen furchtlosen Helfer an der Seite haben, der immer dann aus den Schatten tritt, wenn es für dich eng wird.«
Er sprach. Tatsächlich kamen Worte aus ihm heraus. So etwas hatte es noch nie gegeben. In meinen Kriminalfällen war das Reden normalerweise mir überlassen.
Ich bekam das Gefühl, dass sich von nun an einiges verändern würde.
»Welchen Namen trägst du? Wie darf ich dich nennen?«
Der Kater schüttelte nur den Kopf.
»Ich habe keinen Namen. Ich bin der Unbekannte, der im Schatten auf seinen Einsatz wartet.«
Ich grinste breit.
»Dann werde ich dich ShadowCat nennen.«
ShadowCat nickte. Dann zog er sich langsam in den Schatten eines Schrankes zurück, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte.
»Und grüß den Bengalen von mir, falls du ihn treffen solltest.«
(c) 2020, Marco Wittler
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