883. Wir schauten hinter seine Maske (Mann und Manni 31)

Wir schauten hinter seine Maske

Es braute sich etwas in unserer WG zusammen. Das war auch nicht weiter verwunderlich. Immerhin lebten wir schon seit einiger Zeit auf engstem Raum zusammen und waren mit einem Wohnmobil in der Weltgeschichte unterwegs.
Ja, ist gut. Dein Einwand, lieber Leser, ist absolut berechtigt. Natürlich waren wir nicht wirklich in der Weltgeschichte unterwegs. Für Zeitreisen war es wichtig, einen DeLorean zu benutzen. Wohnmobile waren nur in der Lage durch die Unendlichkeit des Alls zu fliegen – zumindest das von Captin Lonestar.
Und da beginnt auch schon das erste Problem. Ich nur Kater Manni. Aber dadurch nicht minder wichtig für den nun folgenden Bericht.
Ich hatte nach dem Frühstück gemütlich in meiner Höhle im Kratzbaum gelegen, als der wütende Blick der Menschenfrau, die sonst immer nur extrem freundlich und nett war, durch unser fahrbares Heim wanderte.
Aus dem kleinen Schrank im Küchenbereich war etwas verschwunden. Sie hatte für einen der kommenden Abende eine Tafel Schokolade besorgt, die sie zu einer Nachspeise verarbeiten wollte. Nun war sie weg.
Jedes Mitglied der WG stritt sofort ab, die Schokolade genommen zu haben. Auf uns vier Katzen traf das auch zu. Wie jeder Untermieter einer Katze weiß, ist das braune Zeug für uns das reine Gift. Wir schieden also von Natur her aus. Blieb nur noch der Mann.
Der Mann schüttelte vehement den Kopf, verwies immer wieder auf die Diät, der er sich seit ein paar Tagen unterzog, um seinen Wohlstandsbauch loszuwerden.
Der Dieb musste also von außen gekommen und die Gunst der Stunde einer offenen Wohnmobiltür ausgenutzt haben.
An diesem Punkt beschloss ich, der Sache auf den Grund zu gehen. Bekanntlich kommen viele Täter an den Tatort zurück, um erneut etwas mitgehen zu lassen.
Am Nachmittag besorgte die Frau gleich eine neue Schokolade, die sie wieder in den Schrank legte.
Bis zum Abend geschah nichts weiter. Die Tür des Wohnmobils blieb verschlossen, es ließ sich kein Fremder und kein Verbrecher sehen. Als die Menschen dann im Bett verschwanden, begann die von mir penibel vorbereitete Observation unseres mobilen Heims.
Ich lag in meiner Schlafhöhle auf dem Kratzbaum und hatte vom hinteren Teil des Wohnmobils fast alles im Auge. Mein Bruder Lord Schweinenase, der mal wieder angetrocknete Reste des Abendfutters auf der Nase kleben hatte, lag quer über dem Fahrersitz, um die Umgebung zu beobachten. Die Mini-Mietze hielt sich auf der Sitzbank bereit. Mit ausgefahrenen Krallen wartete sie nur auf einen Dib, um ihm die Hölle auf Erden zu bereiten. Der ängstliche Bengale war nicht zu sehen. Stattdessen saß Superheld ShadowCat, der dem Bengalen erstaunlich ähnlich sah, mit Cape und Maske vor dem Küchenschrank. Wir waren also bereit, die Schokolade mit allem zu verteidigen, was wir zu bieten hatten.
Die Zeit verging, die Zeiger auf der Wanduhr drehten sich immer weiter. Es traute sich aber niemand, in unser Wohnmobil einzudringen. Hielten wir unser Heim etwa völlig unnötig unter Beobachtung?
Irgendwann, es musste mittlerweile vier Uhr in der Nacht gewesen sein, wurde der Mann wach. Es stand sein üblicher Gang zur Toilettenkabine an.
Statt sich dann aber zu erleichtern, marschierte er an mir und ShadowCat vorbei, zwinkerte der Mini-Mietze zu und holte sich die Schokolade.
Von dieser Dreistigkeit war ich so überrascht, dass ich gar nicht wusste, wie wir darauf reagieren sollten. Stattdessen sahen wir ihm hilflos zu, wie die zukünftige Nachspeise Riegel für Riegel ins seinem Mund verschwand. Eine Diät sollte eigentlich anders aussehen.
Der Mann warf die nun leere Verpackung in den Müll, leckte sich alle zehn Finger sauber und legte sich zurück ins Bett.
Ich schüttelte nur den Kopf. Von einem Mitbewohner hatte ich eigentlich etwas anderes erwartet.

(c) 2020, Marco Wittler


Bild von Christin Kurth auf Pixabay

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