884. Sie setzten drei Millionen ein (Mann und Manni 32)

Sie setzten drei Millionen ein

Wenn man sich außerhalb der gewohnten Umgebung, fern der eigenen vier Wände befindet und auch dort nächtigt, kann es immer wieder vorkommen, dass man nicht so gut schläft, wie man das gewohnt ist.
In meinem Fall hatte ich die Räume unserer WG für eine Weile hinter mir gelassen, meine Mitbewohner und Untermieter aber mit auf Reisen genommen.
Seit einiger verbrachten wir nun unsere Zeit in einem geräumigen Wohnmobil, fuhren über lange Autobahnen zu fernen Zielen und verbrachten die Nächte auf Campingplätzen oder, wenn das erlaubt war, in der freien Natur.
An einem dieser Abende hatten wir ein ruhiges Plätzchen an einem schwedischen See gefunden. Es war ein so unglaublich malerisches Plätzchen, dass schnell der Wunsch aufkam, an dieser Stelle den Rest des Lebens verbringen zu können. Aber ich zweifelte schnell daran, dass der Mann, einer meiner Untermieter, in der Lage war, unser Zuhause hierher zu holen.
Ich gab mich also damit zufrieden, für eine kurze Zeit mit unserem fahrbaren Untersatz in diesem Paradies verweilen zu dürfen. Immerhin verfügte ich über eine Schlafhöhle auf der Spitze eines Kratzbaums im hinteren Bereich des Wohnmobils, in der ich zum Zeitpunkt, an dem dieser Bericht beginnt, lag und ein Nickerchen hielt.
Die anderen Mietzen der WG lagen überall verstreut. Mein Bruder Lord Schweinenase, den man stets an den Futterresten auf seinem Riechkolben erkennen konnte, hatte sich auf der Ablage hinter der Windschutzscheibe lang ausgestreckt.
Die sonst so hyperaktive Mini-Mietze saß ganz ruhig auf der gepolsterten Bank und sah sich draußen das gut sichtbare Band der Milchstraße an. Es schien sie sehr zu beeindrucken.
Einzig der Begale, der ängstlicher war, als irgendein anderes Lebewesen auf dieser Welt, war nicht zu sehen. Er hatte sich in einer halb offenen Schublade verkrochen, in der er sich sicher fühlte.
Auch meine menschlichen Untermieter, der Mann und die Frau, hatten sich ins Bett verkrochen, um zu schlafen.
Aber von keinem meiner Mitbewohner bekam ich etwas mit, da ich selbst tief und fest schlief und in einem meiner Träume fest saß. Doch das sollte ich erst eine ganze Weile später feststellen.
Während ich also in meiner Höhle lag und schlief, drang ein immer lauter werdendes Geräusch an mein Ohr.
Zuerst ging ich davon aus, dass es andere Fahrzeuge auf der Autobahn waren, die mich störten, erinnerte mich dann aber, dass wir viel zu weit entfernt waren, um sie hören zu können. Startende und landende Flugzeuge schieden ebenfalls aus.
Es hätte allerdings sein können, dass der Mann zwischenzeitlich aufgestanden war, um über das Internet eines seiner Computerspiele zu zocken, die ihm so gefielen. Die machten immer nervige Geräusche.
Ein schneller Blick durch einen Augenschlitz zeigte mir, dass beide Menschen immer noch schliefen. Also Fehlanzeige.
Ich streckte mich und kletterte aus meiner Höhle, stellte schnell fest, dass das Geräusch von draußen kommen musste. Seltsamerweise reagierte aber die Mini-Mietze nicht darauf. Der Anblick der Milchstraße hielt sie völlig gefangen. Auch Lord Schweinenase grunzte friedlich vor sich hin, während der Bengale unter der Decke schwebend schlief.
Ich richtete mich auch, legte meine Pfote auf den Türknauf und sah fasziniert dabei zu, wie ich einen spontanen Evolutionssprung machte. Mir wuchsen mehrere Finger und ein Daumen, mit denen ich die Tür öffnete und nach draußen trat.
Ich nahm die ganze Umgebung in Augenschein, suchte nach der Störquelle. Sie schien sich am Seeufer zu befinden. Auf leisen Pfoten, die Finger und der Daumen hatten sich inzwischen wieder zurückgebildet, schlich ich hinüber und entdeckte eine gefährlich brodelnde Wasseroberfläche.
Irgendwas ging da vor sich, was sich in seinem Bedrohungspotential noch nicht einschätzen ließ.
Während ich noch auf den See hinaus sah, kam plötzlich etwas zum Vorschein. Es waren zwei runde, puschelige Ohren, denen ein großer Kopf folgte, der viele Zähne in seinem Maul beherbergte. Es war ein riesiger Bär mit grauenhaft großen Pranken und Krallen. Sein Brummen ging mir durch Mark und Bein. Darin erkannte ich nun auch das Geräusch, dass mich geweckt hatte.
Panisch lief ich zurück ins Wohnmobil, schlug die Tür hinter mir zu und versuchte verzweifelt, meine Mitbewohner zu wecken. Keiner von ihnen reagierte auf mich.
»Verdammt! Was ist los mit euch? Wir müssen hier schnellstens weg. Dieser Bär wird uns alle umbringen.«
Nichts.
In diesem Moment wurde unser fahrbares Heim kräftig durchgeschüttelt, das Dach aufgerissen. Der monströse Bär sah mich böse an.
Vor Schreck fielen mir spontan alle Fellhaare aus. Ich gab Fersengeld, raste wieder zur Tür … und stürzte kopfüber aus meiner Schlafhöhle.
Der unerwartete Aufprall weckte mich erneut aus meinem Traum.
Das Wohnmobil war unberührt, der Bär verschwunden. Meine Mitbewohner schliefen. Sie waren unverletzt. Die Fantasie meines Schlafs hatte mir nur einen Streich gespielt.
Das Geräusch war allerdings immer noch zu hören. Schnell stellte es sich als Insektenschwarm heraus, der über der Seeoberfläche schwebte. Es mussten mindestens drei Millionen Exemplare sein, die dort für den nervigen Lärm sorgten und sich garantiert nur wegen mir hier aufhielten. Sie mussten den Auftrag bekommen haben, meinen Schlaf zu stören.
Ich atmete auf. Noch einmal gut gegangen. Ich kletterte zurück in meine Schlafhöhle, sah mich noch einmal um und entdeckte den Bengalen, der immer noch schlafend unter der Decke schwebte.
Ein weiterer Traum? Realität? Mir lief es eiskalt den Rücken hinab. Ich schloss schnell die Augen und schlief noch schneller ein.

(c) 2020, Marco Wittler


Bild von Alexey Hulsov auf Pixabay

Unser Score
Klicke, um diesen Beitrag zu bewerten!
[Gesamt: 0 Durchschnitt: 0]

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*