In einem dunklen, tiefen Burgverlies
»Das ist es!«, rief der alte Professor begeistert und zeigte aus dem Fenster des Taxis. »Endlich sind wir da. Ich kann es noch gar nicht fassen, dass es wirklich existiert.«
Er packte seinen Assistenten bei den Schultern und schüttelte ihn kräftig durch.
»Du hast es mir ja nicht glauben wollen, aber in den alten Gemäuern dieser halb verfallenen Burg werden wir eines der größten Geheimnisse aller Zeiten lüften.«
Er öffnete seine alte Ledermappe, holte ein paar Unterlagen daraus hervor und blätterte sie durch.
»Wir werden endlich das Verschwinden von Herzog Adrian von Drachenstein aufklären. Vor über 1200 Jahren verschwand er spurlos und tauchte seitdem nie wieder auf. Wenn ich die alten Aufzeichnungen in den letzten Jahrzehnten richtig gelesen und gedeutet habe, werden wir seine Überreste in dieser verfallenen Burg finden.«
Der Assistent schüttelte unmerklich den Kopf. Er hatte immer angezweifelt, dass vom Herzog noch etwas gefunden werden konnte. Dafür war zu viel Zeit vergangen und Adrian für die Geschichte so unbedeutend, dass ihn kaum jemand kannte.
Sie stiegen aus, bezahlten den Fahrer und betraten die Gemäuer. Man musste gut auf jeden einzelnen Schritt achten, die Augen immer wieder nach oben richten, um nicht von einem losen Stein erschlagen zu werden.
Sie traten durch einen Eingang, stiegen eine Treppe hinab und fanden sich vor einem verschlossenen Verlies wieder.
Der Professor zitterte vor Aufregung am ganzen Körper. Er fühlte sich dem Ziel seiner Suche ganz nah.
»Sieh dir das doch bloß mal an. Diese Tür ist noch ungeöffnet. So alt diese Burg auch ist, es hat kein einziger Dieb versucht, hier einzudringen.«
Er setzte sich auf die unterste Treppenstufe, blätterte in den Aufzeichnungen und fand die betreffende Stelle.
»Seit Jahrhunderten hält sich hartnäckig das Gerücht, dass der Teufel persönlich hier sein Unwesen treiben soll. In den tiefen Gewölben soll es angeblich einen direkten Durchgang zur Hölle geben. Das muss die Bevölkerung wohl davon abgehalten haben, jemals hier einzudringen.«
Der Assistent nickte und sah sich immer wieder unsicher um.
»Ich bin ganz bei den Menschen dieser Gegend. Ich finde es hier unten sehr unheimlich. Müssen wir wirklich weiter suchen?«
Der Professor schüttelte tadelnd den Kopf.
»Jetzt sind wir so weit gekommen, jetzt geben wir auch nicht auf.«
Er kramte aus seiner Tasche einen Draht hervor, steckte ihn in das Schloss des Verlieses und drehte ihn ein paar Mal herum. Es klickte, etwas rastete ein. Die schwere Eichentür schwang auf.
Der Assistent entzündete zwei Pechfackeln, reichte eine an den Professor weiter und dann betraten sie den dunklen Raum.
Sie waren nur wenige Schritte weit gekommen, als etwas auf sie zu geschwebt kam.
»Ein Geist! Da ist ein Geist!«
Der Assistent ließ vor Angst die Fackel fallen und rannte die Treppe nach oben. Der Professor hielt seiner Angst stand und blieb.
Der Geist stürmte auf ihn ein, umrundete ihn einmal, zweimal und blieb dann vor ihm in der Luft stehen.
»Bitte hilf mir. Ich bin hier so allein und habe so schreckliche Angst.«
Der Professor hätte alles erwartet, nur nicht das.
»Wer bist du?«
»Ich bin Herzog Adrian von Drachenstein. Ich halte mich hier seit einer Ewigkeit versteckt, denn ich habe irgendwann gehört, dass der Teufel hier sein Unwesen treiben soll. Nur hier im Verlies fühle ich mich sicher genug. Aber dafür bin ich schrecklich einsam.«
Der Professor begann zu grinsen. Ein Geist, der Angst vor dem Teufel hatte. Das würde ihm niemals jemand glauben.
(c) 2020, Marco Wittler
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