Dunkelheit
Ich wurde wach. Der Druck auf meiner Blase war immens. Aus meiner Erfahrung heraus konnte das nur eines bedeuten: Es war Zeit, aufzustehen.
Ich öffnete meine Augen, wollte gerade unter meiner Decke hervor kommen, als ich feststellen musste, dass immer noch absolute Dunkelheit um mich herum herrschte.
Seltsam. Sollte ich meinen eigenen Körper doch nicht so gut kennen oder spielte er mir heute einen Streich und zwang mich früher zur Toilette?
Ich drückte den Schalter meiner Nachttischlampe. Ich hörte laut und deutlich das Klicken. Licht bekam ich allerdings nicht zu sehen. Es blieb dunkel. Die Birne war wohl durchgebrannt.
Ich stand vorsichtig auf, tastete mich zum Türrahmen durch, stolperte dabei erst über meine Hose, die am Boden lag und dann über meine Schuhe.
Endlich konnte ich die Deckenlampe betätigen. Aber auch sie brachte nicht die von mir erwartete Erleuchtung.
»Verdammt! Was geht denn hier vor sich? Es können doch nicht gleich zwei Birnen gleichzeitig kaputt sein.«
Ich fluchte noch ein Weilchen vor mich hin, während ich mich ins Wohnzimmer durchkämpfte. Wie schafften das blinde Menschen, die nie etwas sehen konnten?
Ich tastete mich an der Wand entlang, drückte den Lichtschalter. Nichts. Dunkelheit.
Langsam wurde es unheimlich. Was geschah hier?
Da hörte ich ein Kichern neben mir. Es war erst leise, wurde dann aber lauter. Von einem kindlichen Gackern veränderte es sich hin zum teuflischen Lachen.
Ich bekam Angst. Stand da etwa ein Monster neben mir, ein Untoter, ein Vampir oder der Gehörnte persönlich?
»Wer ist da?«, rief ich mit zitternder Stimme. »Los, zeig dich!«
Mir wurde sofort klar, wie dumm diese Aufforderung war, wenn ich nichts sehen konnte. Also hob ich die Fäuste und drehte mich immer wieder im Kreis, um mich notfalls gegen den für mich unsichtbaren Gegner verteidigen zu können. Doch das brachte dieses Wesen zum Prusten.
Ich konnte nicht mehr. Die Angst wuchs in mir langsam zur Panik. Verzweifelt sackte ich in mir zusammen, setzte mich auf den Boden und begann zu weinen.
Das Lachen erstarb. Schritte kamen auf mich zu und es wurde schlagartig hell.
Zuerst konnte ich wegen des plötzlichen Lichts nichts sehen. Es blendete mich. Aber nach ein paar Sekunden erkannte ich meinen kleinen Bruder vor mir, der eine dunkle Augenmaske in Händen hielt.
»Hast du mir dieses blöde Ding aufgesetzt?«, fragte ich ihn peinlich berührt.
Er nickte und grinste breit.
»Warte nur. Wenn ich dich erwische.«
Ich sprang auf und wollte ihn mir schnappen, als die Lampen in allen Räumen ausfiel. Doch dieses Mal blieb ein Rest Licht, das durch die Fenster herein kam. Ein Stromausfall.
»Ist gut.«, rief ich. »Dann hat dein Hintern bis Morgen Schonfrist.«
Ich ging zurück ins Bett, legte mich hin und war fast eingeschlafen, als ein Lachen an mein Ohr drang, das direkt aus der Hölle zu kommen schien.
(c) 2020, Marco Wittler
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