909. Mit einem Schlüssel fing das Abenteuer an

Mit einem Schlüssel fing das Abenteuer an

Es war ein heftig starkes Unwetter, dass sich über dem weiten Ozean austobte. Dicke Wolken schluckten jedes bisschen Sonnenlicht, es regnete wie aus großen Kübeln und sekündlich jagten Blitze vom Himmel herab.
Ein einsames Schiff versuchte diesem Sturm zu trotzen, während es den Gewalten der riesigen Wellen ausgesetzt war.
Die Seeleute, alles jahrelang erfahrene Männer, standen an Deck und versuchten, möglichst schadlos durch den Wind zu kreuzen.
Einer von ihnen hatte kurz nicht aufgepasst und wurde für seine Unachtsamkeit bestraft. Er wurde vom Deck gespült. Zu seinem Glück verfing sich sein Fuß in der Schlinge eines Seils, wodurch er gerade noch gerettet werden konnte.
Sein weniges Hab und Gut, dass er bei sich trug, war aber für immer in den Tiefen des Ozeans verloren.
Während sich an der Oberfläche ein Kampf um Leben und Tod abspielte, war unter dem Wasser deutlich ruhiger. Die bunten Seeanemonen wiegten sich gemütlich in der seichten Strömung, während ein paar Seekühe ein Tangfeld abgrasten.
In dieser malerischen Idylle saß ein Meermann auf einer Klippe am Rande eines tiefen Grabens und blickte verträumt und gedankenverloren in die Ferne. Er träumte von großen Abenteuern, die er gern einmal erleben, sich aber niemals zutrauen würde.
Während er so nachdachte, fiel plötzlich ein Gegenstand in seinen Schoß. Der Meermann nahm ihn in die Hand, besah ihn sich von allen Seiten. So ein Ding hatte er noch nie gesehen. Es war ein kurzer, silbern glänzender Stab, an dessen einem Ende sich ein Kreis befand, an der anderen Seite eine Art Bart.
»Seltsam. Was ist das und wo kommt es her?«
Er sah nach oben, entdeckte dort das Schiff, dass mit den Wellen kämpfte.
»Das Ding gehört den Menschen. Sie werden es vermissen. Ich bringe es ihnen wieder zurück.«
Er fädelte einen Seegrashalm durch den Ring des Dings, hängte es sich um seinen Hals und schwamm dem Schiff hinterher. Glücklicherweise war es nicht weit bis zur nächsten Küste. Die Menschen kämpften sich in wenigen Stunden in den sicheren Hafen, wo sie vor dem Sturm sicher waren.
Der Meermann kam zum ersten Mal in seinem Leben an die Oberfläche und sah sich einem Problem gegenüber, dass er nicht bedacht hatte. Er konnte mit seiner großen Flosse nicht über den Boden laufen, wie es die oberseeischen Lebewesen taten.
»Schau mal da!«, hörte er plötzlich eine Stimme. »Das nenne ich mal einen fetten Brocken. Den Fisch holen wir uns.«
»Was? Ich bin doch kein Fisch.«
Doch dann fand er sich bereits in einem großen Netz gefangen wieder, das von einem dicken Tau nach oben gezogen wurde. Durch eine große Falltür ging es dann hinab in den Bauch des Schiffes, dass er vom Grund des Ozeans gesehen hatte.
So hatte sich das der Meermann aber nicht vorgestellt. Die Menschen waren nicht so freundlich und nett, wie er das aus vielen Erzählungen gehört hatte. Sie schienen richtige Monster zu sein, denen man eigentlich nicht begegnen wollte.
»Was soll ich denn jetzt machen? Ich will nicht auf deren Esstisch landen.«
Er kämpfte sich aus dem Netz frei und sah sich um. Die große Falltür war zu schwer, um sie aufzudrücken. Ansonsten gab es nur noch eine normale Tür an einer Seite dieses Lagerraums. Doch auch diese war fest verschlossen und nicht zu öffnen.
»Ich werde sterben, wenn ich mich nicht befreien kann. Ich muss zurück ins Wasser. Ich trockne sonst hier aus.«
Da ertönte eine leise Stimme neben seinem Ohr. Der Meermann fuhr erschreckt herum und sah ein kleines, buntes Wesen, dass mit seinen Flügeln neben ihm flatterte.
»Oh, du musst dich nicht vor mir ängstigen. Ich bin nur ein kleiner, ungefährlicher Schmetterling. Dafür kenne ich mich aber viel besser mit den Menschen um als Leute von deinem Volk.«
Er landete auf der Hand des Meermanns und zeigte mit seinen Flügeln auf das silberne Ding an dessen Hals.
»Das ist ein Schlüssel, was du da bei dir trägst. Damit kann man Türen öffnen, weißt du? Einfach in das kleine Loch stecken, umdrehen und schon bist du frei.«
Der Meermann sah ungläubig auf den Schmetterling, dann auf den Schlüssel.
»Was denn? So einfach soll das sein? Das kann ich gar nicht glauben.«
Trotzdem probierte er es aus und saß wenige Sekunden später auf der Reling des Schiffs.
»Ich danke dir für deine Hilfe. Ohne dich wäre ich dieser tödlichen Falle niemals entkommen.«
Er winkte dem Schmetterling zum Abschied, dann ließ er sich ins Wasser gleiten und verschwand im weiten Ozean.

(c) 2020, Marco Wittler


Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

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