Prinzessin auf Achse
Die junge Prinzessin saß traurig am Fenster ihres Schlafgemachs und sah hinab in den großen Schlosshof. Sie beobachtete, wie der König seine Kutsche anspannen ließ, um ins Nachbarreich zu reisen. Dort warteten wichtige Regierungsgeschäfte auf ihn.
Kaum war er auf dem Weg, wurden schon die nächsten zwei Kutschen angespannt. Die beiden Prinzen machten jeweils einen Ausflug mit ihren Freunden.
»Wie gerne würde ich auch verreisen, das Königreich durchqueren, die Welt kennenlernen.«
Die Prinzessin seufzte laut und erinnerte sich einmal mehr an die Wort ihres Vaters, der ihr mehr als einmal erklärt hatte, dass Reisen etwas für Männer war und es sich nicht schickte, wenn eine junge Dame ihres Standes allein unterwegs war.
»Das ist alles so unfair. Warum dürfen Männer so vieles machen, was mir verboten wird? Wir sind doch alle Menschen. Dann sollten wir auch die gleichen Rechte haben. Wäre ich Königin, würde ich das alles ändern. Dann dürfte niemand mehr einen Unterschied zwischen den Geschlechtern machen.«
Plötzlich kam ihr eine Idee. Die Prinzessin verließ ihren Platz, lief von ihrem hoch im Schloss gelegenen Gemach hinab in die Werkstätten. Heimlich schlich sie von Schatten zu Schatten, bis sie fand, wonach sie gesucht hatte.
In einem großen Regal lagen silbern polierte Metallstücke, die aneinander hingen, nur schwer zu trennen waren: es waren starke Magnete.
»Damit kann ich mir meinen sehnlichsten Wunsch erfüllen.«
Mit wenigen Handgriffen arbeitete die Prinzessin ihren Fund in ihren Gürtel ein und verschwand dann in den Stallungen.
Kaum dort angekommen, wurde bereits eine weitere Kutsche für eine Ausfahrt vorbereitet. Gerade wurden die letzten Pferde angespannt.. Es konnte nur noch wenige Minuten dauern, bis es nach draußen ging.
Die Prinzessin wartete nicht lang, ließ sich zu Boden gleiten und kroch unter die Kutsche. Dort befestigte sie sich selbst mit den Magneten am Boden des Gefährts.
Der Kutscher kletterte auf seinen Bock, ließ die Peitsche knallen und steuerte aus dem Schlosshof heraus.
Auf das Gesicht der Prinzessin stahl sich ein breites Grinsen. Sie hatte es geschafft. Sie hatte das Schloss, das sich wie ein goldener Käfig anfühlte, endlich verlassen.
Nun stand ihrem Wunsch, die Welt zu erleben, nichts mehr im Wege.
(c) 2020, Marco Wittler
Bild von GraphicMama-team auf Pixabay
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