100. Hochzeit mit Hindernissen (Ninas Briefe 17)

Hochzeit mit Hindernissen

Hallo Steffi.
Gestern war ein richtig toller Tag. Meine Patentante Ilka hat geheiratet. Ich war ganz schön aufgeregt, denn das war meine erste Hochzeit überhaupt. So aufgeregt wie ich war bestimmt sonst niemand. Obwohl, wenn ich so richtig darüber nachdenke, war Tante Ilka bestimmt auch ein kleines bisschen nervös. Aber das hat man gar nicht gemerkt. Aber ich fange am besten ganz von vorn an.
Mama und ich sind schon am Mittwoch zu Ilka und ihrem Freund Marco gefahren. Mama wollte den beiden bei den letzten Vorbereitungen helfen. Ich durfte schon mit und war dann wenigstens meinen nervigen Bruder Tommi für ein paar Tage los.
Schon die Fahrt dort hin war grausig. Wir fuhren direkt nach dem Mittagessen los. Doch als wir gerade auf der Autobahn waren, sahen wir vor uns einen Stau. Mama drehte sofort das Radio an, um mehr zu erfahren.
»Hoffentlich ist er nicht zu lange. Wir müssen doch pünktlich da sein, sonst verpassen wir noch die Hochzeitsprobe in der Kirche.«, murmelte sie vor sich hin.
Aber das Hoffen war nutzlos. Der Mann im Radio sprach von dreizehn Kilometern.
Mama drückte die vielen Knöpfe am Navigationsgerät, fand allerdings keinen anderen Weg. Das Ding ist halt nicht so gut wie Papa. Der kennt jeden Schleichweg und hätte uns um den Stau herum geführt.
Wir ließen also das Fahren und Halten über uns ergehen. Naja, eigentlich nur Mama, denn ich konnte ja in meinem Kindersitz auf der Rückbank in Ruhe schlafen.
Als ich wieder wach wurde fuhr Mama schon längst wieder schneller, trotzdem war sie noch immer unglaublich nervös und trommelte die ganze Zeit mit den Fingern auf dem Lenkrad herum.
»Wir schaffen es nicht mehr rechtzeitig. Wir haben viel zu viel Zeit verloren.«
Noch ganz verschlafen sah ich auf meine Armbanduhr. Es war bereits zwei Uhr am Nachmittag. In einer Stunde sollten wir in der Kirche sein. Das würde bestimmt Ärger geben, schließlich war Mama doch die Trauzeugin.
»Wie lange fahren wir denn noch, bis wir da sind?«, fragte ich.
Mama sah kurz auf die Kilometeranzeige, rechnete etwas und sagte, dass wir noch zwei Stunden brauchen würden.
»Jetzt muss ich meinen Bleifuß einsetzen.«, sagte Mama verzweifelt.«
Bleifuß? So etwas Komisches hatte ich noch nie gehört. Blei ist doch unglaublich schwer. Warum humpelt Mama denn dann nicht, wenn sie das in ihrem Fuß hat? Sehr seltsam.
Das Auto flitzte richtig schnell durch die Straßen und um viertel nach drei waren wir an der Kirche.
Mama und ich stürmten aus dem Auto und liefen so schnell es ging zum Eingang der Kirche. Die Tür war allerdings verschlossen.
In diesem Moment kam Opa gemütlich um die Ecke gelaufen. Er ging gerade etwas spazieren und wunderte sich, dass wir schon hier waren.
»Die Probe ist doch erst um vier. Ihr hättet doch so lange noch zu uns kommen können. Das Brautpaar macht sich dort auch gerade noch fertig.«
Mama wurde etwas rot im Gesicht und sah verlegen zu Boden. Ich stupste sie mit dem Zeigefinger in die Seite und flüsterte ihr zu, dass wir es ja doch noch pünktlich geschafft hatten.

Eine halbe Stunde später kam Tante Ilka mit ihrem Freund an. Mit im Auto saßen Oma und noch ein paar Leute, die ich bisher noch nie gesehen hatte. Die waren bestimmt mit Onkel Marco verwandt.
Pünktlich um vier Uhr öffnete der Pastor von innen die Kirche und lies uns herein.
Es war alles richtig feierlich geschmückt worden. Aber bei näherem Hinsehen fiel mir auf, dass nicht ein Blümchen echt war. Der Pastor sah sofort, dass mir das aufgefallen war.
»Die werden kurz vor der Hochzeit gegen frische ausgetauscht. Du musst dir keine Sorgen machen.«, flüsterte er.
Der Mann war ja prima vorbereitet. Es kam mir vor, als würde er regelmäßig Leute verheiraten. Was für ein toller Beruf. Ich will auch mal Pastorin werden. Einmal die Woche eine Kirche mit Blümchen schmücken und dann viele fröhliche Leute herein bitten und zwei davon verheiraten. Wie romantisch das doch sein muss.
Die Probe verlief richtig gut. Jeder wusste nun, wo er stehen und was er sagen sollte. Ich bekam eine ganz besondere Aufgabe. Ich sollte nach der Trauung vor dem Brautpaar her laufen und Rosenblätter auf dem Boden verteilen.
Am Abend saßen wir noch alle beim Essen zusammen und es wurde viel erzählt, gelacht und gescherzt, bis ich dann ins Bett musste.

Am nächsten Morgen, es war mittlerweile Donnerstag, ging der Hochzeitsstress weiter.
Mama, Tante Ilka und ich fuhren in die Stadt und holten das Brautkleid ab. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele Brautkleider es gibt. Der Laden war von oben bis unten voll damit. Und eines davon wollten wir mitnehmen.
Die Verkäuferin war sehr nett, packte alles für uns ein und machte um die Verpackung noch eine große rosa Schleife.
Zurück bei Oma schickten wir alle Männer aus der Wohnung. Sie sollten sich die Zeit woanders vertreiben.
»Ihr könnt ja meinem Papa und Tommi entgegen gehen. Die sollten auch gleich kommen.«, sagte ich ihnen hinterher.
Tante Ilka packte ihr Kleid aus und zog es an. Alle Frauen, die in der großen Küche saßen, waren begeistert. Sie fanden das Kleid richtig schick. Aber irgendwie erinnerte es mich an ein leckeres Sahnebaiser.
In diesem Moment hörten wir von draußen eine Stimme rufen.
»Oma, hallo Oma. Wir sind da. Ich bin es, dein Tommi.«
Oh, nein, dachte ich. Bitte nicht dieser kleine Quälgeist.
Tommi riss die Tür auf und stürmte herein. Er stolperte und fiel hin. In seiner Angst griff er nach der Einzigen Person, die in seiner Nähe war und riss Tante Ilka einen Ärmel vom Kleid ab.
Im Wohnzimmer wurde es totenstill. Niemand traute sich etwas zu sagen. Tommi rappelte sich wieder auf, lief und lief zu Mama.
»Ist nichts passiert, Mama. Alles heile. Hab nicht einmal weinen müssen. Bin ja auch schon großer Junge, oder?«
Tante Ilka begann zu weinen und lief ins Bad. Mama ging sofort hinterher. Sie schlossen sie ein und ließen sich zwei Stunden lang nicht mehr sehen. Oma beschäftigte sich in der Zeit mit Tommi und erklärte ihm, was er gerade verbrochen hatte.
Irgendwann kamen Mama und Tante Ilka wieder aus dem Bad. Ganz vorsichtig sahen sie um die Ecke, ob Tommi weiterhin ein Risiko darstellen würde. Dann kamen sie herein.
Alle Tränen waren getrocknet, meine Tante war getröstet und Mama hatte mit Nadel und Faden das Kleid repariert. Es sah wieder aus wie neu.

Am Abend teilten wir uns wieder auf. Die Männer feierten den Junggesellenabschied von Onkel Marco und wir machten eine Pyjamaparty. Endlich waren wir Tommi los. Also konnte jetzt nichts Schlimmes mehr passieren.
Aber leider kam es dann doch anders. Wir gingen recht früh ins Bett, da wir auch alle wieder früh aufstehen mussten. Die Männer feierten noch richtig lange.

Mitten in der Nacht wurde ich wach, weil es im Flur ziemlich laut war. Onkel Marco kam mit den anderen nach Hause und die Frauen waren ziemlich laut und schimpften, was das Zeug hielt. Da war ich natürlich neugierig, was geschehen war und schlich mich die Treppe nach unten.
Papa und Marco torkelten durch den Flur. Sie hatten wohl ein Bier zu viel getrunken. Naja, dafür konnten sie sich jetzt bald ins Bett legen und noch ein wenig schlafen.

Am nächsten Morgen wurden die Männer nicht wach – bis auf Tommi. Mein kleiner Bruder lief ständig hin und her und fiel jedem auf die Nerven. Mama kümmerte sich um Onkel Marco und Papa, die starke Kopfschmerzen hatten und nicht unter der Decke hervor kommen wollten. Aber irgendwann kamen sie dann doch an den Frühstückstisch.
»Wo ist denn die Ilka?«, fragte Papa erstaunt. »Schläft die Braut denn auch noch?«
Ich musste laut lachen.
»Mensch, Papa. Die ist doch schon lange unterwegs und lässt sich richtig schick machen.«, antwortete ich.
»Der Bräutigam darf seine Frau doch nicht vorher im Sahnebaiser sehen. Oh, … Ich meine natürlich im Kleid.«
Ich wurde rot im Gesicht und alle lachten.

Irgendwann fuhren wir alle zur Kirche. Der Pastor hatte tatsächlich frische Blümchen als Schmuck überall angebracht. Es sah richtig schön romantisch aus.
Alle Leute verteilten sich in den Sitzbänken. Es wurde richtig voll. Ein paar Gäste mussten sogar stehen.
Plötzlich begann die Orgel zu spielen und die Braut wurde von Opa nach vorn begleitet. Sie sah umwerfend schön und überglücklich aus. Sie stellte sich zu Onkel Marco, dem es nun auch wieder besser ging. Dafür hatte er aber auch zwei Kopfschmerztabletten nehmen müssen.
Der Pastor erzählte viel und wir sangen zwischendurch immer wieder. Der Spannende Teil war aber, als Ilka und Marco ›Ja‹ sagen sollten. Alle Leute waren mucksmäuschenstill und hörten zu.
Am Schluss kam dann auch endlich mein ganz großer Auftritt. Ich hatte ein schickes rosa Kleidchen an und in der Hand ein Körbchen. Ganz langsam lief ich vor dem Brautpaar her und verteilte die Rosenblätter auf dem Boden. Tommi sah mir ganz grimmig hinterher, denn er hätte auch gern Blätter geworfen. Aber Jungs sehen in Kleidern einfach nicht gut aus.

Den Rest des Tages verbrachten wir auf der Hochzeitfeier. Aber zum Glück ist nichts Schlimmes mehr passiert. Sogar mein Bruder hat sich zurück gehalten und fiel nur noch ganz wenigen Leuten auf den Wecker.

Jetzt ist mein Brief zu Ende. Mama will nämlich mit mir nach Hause fahren.

Deine Nina.

P.S.: Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder. Dann zeige ich dir die schönsten Fotos von mir und Tante Ilka. Die Bilder, auf denen Tommi zu sehen ist, sortiere ich extra vorher aus.

(c) 2008, Marco Wittler

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