1003. Der kleine König aus dem kleinen Königreich

Der kleine König aus dem kleinen Königreich

Im größten Schloss des Märchenlandes hatte der König zu einer wichtigen Konferenz gerufen. Er hatte seine Botschafter in alle Reiche ausgesanft, um seine dort herrschenden Kollegen einzuladen. Ein paar Tage später waren sie alle in ihren prunkvollen Kutschen angereist und betraten nun nacheinander festlich geschmückten Thronsaal.
Jeder von ihnen hatte eine goldene Krone auf dem Kopf und war in einen weichen, teuren Mantel gekleidet.
Die Konferenz fand an einem riesigen und üppig geschmückten Tisch statt. Vor jeden Platz stand ein Krug besten Weines, den die Könige trinken konnten. War der Becher einmal leer, stürmte sofort ein Diener herbei, der ihn auffüllte.
Nach und nach meldete sich jeder der Teilnehmer zu Wort. Jeder hatte etwas vorzutragen, dass ihm wichtig war, das Gehör finden sollte.
Nur einer von ihnen wurde bei jeder Runde übersehen. Ein kleiner König, der nicht groß von Wuchs war, der auch nur über ein sehr kleines Reich herrschte, kam nicht an die Reihe. Das lag wohl auch daran, dass er hinter dem hohen Tisch nicht gesehen wurde.
Immer wieder reckte er seinen Arm in die Höhe und meldete sich. Doch selbst ein
kräftiges Winken fiel in der runde nicht auf.
»Verdammt!«, fluchte er Stunde um Stunde. »Irgendwie muss ich mich doch bemerkbar machen können. Ich habe auch etwas Wichtiges zu berichten.«
Irgendwann war es der kleine König leid. Er stand auf, kletterte auf den Tisch und lief darauf einmal im Kreis. Dabei winkte er jedem seiner Kollegen zu, bat sie ihm zuzuhören und blieb schließlich vor seinem eigenen Stuhl wieder stehen.
»Danke, dass ich jetzt eure Aufmerksamkeit habe. Ich bin der kleine König aus dem kleinen Königreich und ich habe etwas Wichtiges zu verkünden.«
Er machte eine kurze Pause, sah noch einmal alle Könige an, bevor er weiter sprach.
»Ich bin so klein, dass ich mich problemlos in den kleinsten Ecken verkriechen kann, ohne dass ich gesehen werde. Hat jemand von euch Lust, mit mir nach der Konferenz verstecken zu spielen?«
Dann sprang er lachend vom Tisch und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.

(c) 2021, Marco Wittler

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