1093. Schlafloser Winter

Schlafloser Winter

Der Herbst neigte sich dem Ende zu. Die Bäume des Waldes hatten ihre letzten Blätter verloren und mit der anhaltenden Kälte war auch der erste Schnee gefallen. Doch darüber machte sich jemand keine Gedanken, weil es ihn nicht interessierte.
In einer Höhle hatte es sich ein großer, dicker Bär gemütlich gemacht. Er lag in seinem Bett auf einer dicken Matratze unter einer warmen Decke und hatte vor wenigen Stunden zu schnarchen begonnen. In den nächsten Wochen und Monaten würde er nicht wieder aufwachen. Er hatte seinen Winterschlaf begonnen.
Doch dann kam alles anders. Unweit seines Ohrs ertönte eine leise Melodie. Der Bär gähnte laut, öffnete ein Auge zu einem schmalen Schlitz und und grollte wütend.
»Verdammt nochmal. Was soll denn das?«
Er griff zum Handy, das auf dem Nachttisch lag. Ein Anruf war es nicht, also konnte er nur der welcher gewesen sein.
»Jedes Jahr das Gleiche. Immer vergesse ich im Herbst, das blöde Ding abzuschalten.«
Er drückte auf einen Knopf und wartete, bis das Handy komplett aus war. Dann machte er es sich wieder auf seinem Kopfkissen gemütlich und schlief ein.
Nur Minuten später ertönte wieder eine Melodie. Der Bär schreckte hoch.
»Hä? Was ist denn jetzt los? Das darf doch gar nicht war sein.«
Er rappelte sich hoch, durchsuchte die ganze Höhle und zog schließlich den Stecker seine Radios aus der Dose. Zur Sicherheit wiederholte er das bei seinem Fernseher und dem Computer. Nun gab es kein Gerät mehr, dass unerwartet Lärm machen oder Musik abspielen konnte. Endlich konnte der Bär wieder in den wohlverdienten Winterschlaf versinken. Nur Minuten später war ein einem tiefen Traum versunken, bis erneut Musik erklang.
»Ich raste gleich aus. In meiner Höhle kann keine Musik mehr spielen. Werde ich jetzt etwa wahnsinnig?«
Der Bär stand wieder auf. Noch einmal durchsuchte er jede Ecke der Höhle. Da er aber nichts finden konnte, ging er nach draußen. Nur wenige Meter weiter saß ein Kobold auf dem Ast eines Baumes und spielte auf seiner Flöte ein fröhliches Lied. Als er den Bären sah, unterbrach er sein Spiel.
»Ein wunderschönen guten Tag, Herr Bär. Magst du meinem Liedchen lauschen? Ich spiele heute ganz besonders gut.«
Der Bär wurde wütend. »Ich versuche hier zu schlafen. Hör auf zu spielen. Du störst mich. Ich fresse dich sonst auf.«
Der Kobold war empört. So eine Reaktion hatte er nicht erwartet. Doch dann erinnerte er sich an den Winterschlaf.
»Tut mir leid, dass ich dich gestört habe. Aber ich habe da eine gute Idee.«
Der Kobold griff in seine Gürteltasche, holte zwei Wattebällchen hervor und stopfte sie dem Bären in die Ohren. Schon wurde die Welt still und leise.
»Vielen Dank.« Der Bär seufzte glücklich und zufrieden. »Tut mir leid, wenn ich dir Angst gemacht habe. Ich würde niemals einen Kobold fressen.«
Er verzog sich zurück in sein Bett und schlief bis zum Frühling weiter.

(c) 2021, Marco Wittler


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