1131. Vampir in Nöten

Vampir in Nöten

Es war mitten in der Nacht. Am sternenklaren Himmel hing der große, runde Vollmond und erhellte die schmalen Gassen des nahen Dorfes. Trotzdem war niemand hier zu sehen. Die Menschen wussten um die Gefahr, die ihnen hier drohte. Nach Sonnenuntergang wagte sich niemand mehr vor die Tür. Jedem war sein Leib und sein Leben teuer genug, um sie nicht leichtsinnig zu verlieren.
In der alten Burg, die sich auf dem nahen Hügel befand, schlug die alte Standuhr einmal. Die Geisterstunde war vorbei. Die schemenhaften Wesen, die seit Mitternacht ihr Unwesen in den Fluren getrieben hatten, lösten sich auf und verschwanden. Sie räumten das Feld für den Herrn ihrer Heimat. Dieser lag tief unten in einem besonders alten Gemäuer in einem hölzernen Sarg. Hier war besonders gut vor den tödlichen Strahlen der Sonne geschützt, die ständig danach trachteten, ihm sein ewiges Leben zu nehmen.
Der Deckel des Sargs öffnete sich langsam. Eine bleiche Hand kam hervor und schob ihn zur Seite. Darunter kam ein Vampir zum Vorschein, der seine langen, spitzen Eckzähne im Licht einer einzelnen Kerze aufblitzen ließ.
»Es ist Zeit für die Jagd.«, sagte er mit gieriger Stimme und entstieg seinem Schlafplatz. Er griff sich den großen Schlüsselbund, der ihm jede Tür des Dorfes öffnen würde. So hatte er ungehinderten Zugang zu allen Kehlen der Menschen, die ihn fürchteten.
Der Vampir schritt auf die Tür zu und hörte ein Geräusch, dass ihm sofort die Lust auf frisches Blut nahm. Er war mit seinem Anzug an einem der rostigen Sargnägel hängen geblieben. Sein Kleidungsstück war ihm vom Körper gerissen. Er stand nackt in seinem Verlies.
»Verdammt! Wie soll ich denn jetzt unter Leute gehen? Ich muss mir etwas Neues im Internet bestellen.«
Grummelnd legte er sich zurück in seinen Sarg und freute sich schon jetzt auf die Kehle des Paketlieferanten.

(c) 2021, Marco Wittler


Image by Jo-B from Pixabay

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