In der Küche des alten Zauberers
In der Mitte des kleinen Hauses brannte ein besonders heißes Feuer. Über den lodernden Flammen hing ein großer Kupferkessel, in dem es schon seit Stunden ununterbrochen brodelte. Immer wieder stiegen dicke Luftblasen auf, die an der Oberfläche laut zerplatzten.
Davor stand ein alter Mann, der in einen langen, grauen Mantel gekleidet war. Sein Gesicht verschwand fast vollständig hinter einem langen, weißen Bart. In seinen Augen glühte eine Leidenschaft, die noch heller brannte, als das Feuer vor ihm.
Nach und nach gab er immer neue Zutaten in den Kessel, murmelte unverständliche Wörter und Sätze vor sich hin, die er aus einem dicken Buch ablas und dabei wild mit Händen und Armen gestikulierte. Hätten ihm in seinem hohen Alter nicht die Beine so sehr geschmerzt, er wäre wohl in regelmäßigen Abständen um sein Gebräu getanzt. So blieb er an Ort und Stelle und bewegte sich nur dann vom Feuer fort, wenn er neue Zutaten holen musste.
Seltene Kräuter verschwanden unter den Blubberblasen, Pilze und andere Pflanzen, die er am Nachmittag frisch im Wald geerntet und gesammelt hatte.
Hätte in diesem Augenblick ein Unbeteiligter durch eines der kleinen Fenster geschaut, wäre ihm das kalte Grausen den Rücken herunter gelaufen, denn der Alte, der dort am Kessel stand, war kein Geringerer, als ein Zauberer. Manch einer in nahen Dorf sprach sogar hinter vorgehaltener Hand davon, dass es sich bei ihm um einen Hexer handeln sollte. Also konnte man davon ausgehen, dass es sich bei dem Gebräu um einen Zaubertrank handelte.
Der Alte beugte sich über den Kessel, roch an seinem Werk und nickte zufrieden. Er war fertig geworden. Er füllte einen Teil in eine Schüssel und brachte sie vor sein kleines Haus. Dort schlug er mit einem Klöppel gegen einen großen Gong, dessen tiefer Ton bis in den letzten Winkel des Waldes zu hören war. Kurz darauf kamen aus allen Richtungen mehrere Personen herbei, die stumm vor dem Zauberer stehen blieb.
»Verschwindet von hier!«, rief plötzlich jemand. »Ich habe genau gesehen, was er da gebraut hat. Es ist ein gefährlicher Zaubertrank. Nehmt nichts davon.«
Doch die Leute aus dem Wald hörten nicht auf die Warnung. Sie kamen immer näher und bekamen einer nach dem anderen zwei Kellen aus der Schüssel und nahmen das Gebräu zu sich. Anschließend geschah nichts.
Nachdem er alle versorgt hatte, drehte sich der Zauberer zu dem ungebetenen Gast um und hielt ihm die Schüssel hin.
»Auch wenn du mir nicht vertraust, ich biete dir ebenfalls eine heiße Suppe an. Sie ist sehr lecker und nahrhaft. Ich koche hier jeden Tag für die Armen, die ohne meine Hilfe verhungern würden.«
(c) 2021, Marco Wittler
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