1153. Kerzenlicht

Kerzenlicht

Der alte Vampir, der schon seit Jahrhunderten sein Unwesen in den umliegenden Dörfern und Städten trieb und kein einziges erwischt worden war, hatte sich nach einer langen Nacht in die alte Burg auf dem Hügel zurück gezogen und versteckt.

Müde schlich er von der Zugbrücke aus durch die vielen Gänge, mühte sich unzählige Treppenstufen und Etagen hinab, bis er in einem kleinen, dunklen Verlies angekommen war. Hierher hatte sich noch nie ein Sonnenstrahl verirrt. Hier konnte sich der Vampir sicher sein, dass er am nächsten Abend wieder erwachte und nicht zwischendurch zu Staub zerfallen war.
Während er seinen langen, schwarzen Mantel ablegte, warf er noch einen schnellen Blick in den Wandspiegel und musste lachen. »Jeden Morgen vergesse ich, dass ich mich im Spiegel gar nicht sehen kann.« Also wischte er vorsichtshalber mit einem Taschentuch über die Mundwinkel und erwischte noch einen letzten Blutstropfen.
»Es wird Zeit, schlafen zu gehen.« Der Vampir schob den Deckel seines Sargs, der in der Mitte des Raumes stand, ein gutes Stück zur Seite. Doch bevor er sich hinein legte, schritt er noch einmal an den Wänden entlang und blies die dort leuchtenden Kerzen aus.
Der Vampir stieg in seinen Sarg, doch bevor er sich hinlegen konnte, begann eine Kerze wieder zu leuchten.
»Was soll denn das?«, wunderte sich der Vampir. »Seit wann können sich Kerzen selbst entzünden?« Er stand noch einmal auf, blies das Licht ein weiteres Mal aus. Endlich schlafen.
Und wieder begann es zu leuchten. »Das kann doch gar nicht sein. Hier will mir jemand ganz übel mitspielen.«
Die Sache wiederholte sich mehrere Minuten lang. Jedes Mal, wenn der Vampir lag und gerade den Deckel schließen wollte, wurde es wieder hell. Was konnte das nur sein?
Bevor er ein zehntes Mal das Kerzenlicht ausblies, sah er sich die Flamme genauer an. Der Docht brannte gar nicht. Stattdessen saß auf seiner Spitze ein kleiner Käfer.
»Schau mal einer an. Ich habe es mit einem Glühwürmchen zu tun, dass als Scherzbold geboren wurde.«
Vorsichtig fing er den kleinen Käfer, setzte ihn vor die Tür des Verlieses und konnte endlich in seinem Sarg schlafen.

(c) 2021, Marco Wittler


Image by SilviaP_Design from Pixabay

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*