1154. Auf der Flucht vor der Mumie

Auf der Flucht vor der Mumie

Ich rannte um mein Leben und war in Schweiß gebadet. Noch nie in meinem bisherigen Leben war ich so von Panik getrieben und wusste nicht, wie mich retten sollte. Hätte ich doch nur meine vorlaute Klappe gehalten.
Der Moment, der alles verändert hatte, lag erst wenige Minuten zurück. Mit zwei Freunden hatte ich mich in der Toilette eines Museums versteckt. Dort hatten wir bis nach dem Feierabend warten wollen, um eine Nacht hier verbringen zu können. Wir hatten nicht nur auf einen ruhigen, ungestörten und ganz privaten Rundgang durch die verschiedenen Ausstellungen geplant, sondern auch verrückte Fotos für das Internet machen wollen. Wer konnte sich schon damit rühmen, mit weltweit berühmten Bildern zu posieren oder in einer echten, antiken Soldatenrüstung gesteckt zu haben? Nun, wir hatten es zumindest vorgehabt.
Nach Ende der Öffnungszeiten hatten wir es noch eine ganze Stunde in der Toilette ausgehalten. Sie waren zwar vom Wachpersonal überprüft worden, aber niemand hatte sich die Mühe gemacht, in die einzelnen Kabinen zu schauen, in denen wir auf den Schüsseln saßen und die Füße angezogen hatten.
Mittlerweile war es ruhig geworden. Wir waren uns ganz sicher gewesen, von niemandem mehr erwischt zu werden. Also machten wir uns auf den Weg und knipsten uns mit den Handykameras von einem Raum zum nächsten. Es war ein unglaublicher Spaß gewesen. Das Foto als griechischer Söldner war mein absoluter Höhepunkt. Doch dann hatten wir die ägyptische Ausstellung betreten. Unglaublich, welch prunkvolle Schätze man hier aufgefahren hatte. Gold, Edelsteine, großzügig verzierte Gesichtsmasken. Aber mich hatte etwas anderes in seinen Bann gezogen: der Sarkophag eines echten Pharaos.
Bedächtig hatte ich mich ihm genähert und auf dem Deckel Platz genommen. Meine Freunde hatten vor Vergnügen laut gejohlt und mich zu immer neuen Posen angefeuert. Aber das hatte mir irgendwie nicht gereicht. Ich wollte das ultimative Bild, eines das niemand anderer vorzuweisen hatte. Ich hatte den Sargdeckel zur Seite geschoben und die alte Mumie darin aufgerichtet. Mit ihr im Arm war es ein unbeschreibliches Gefühl gewesen. Und dann war es zudieser unüberlegten Dummheit gekommen.
»Wie blöd muss man sich vorkommen, wenn man dreitausend Jahre lang in Klopapier eingewickelt in einer alten Kiste liegt?«
Sofort war die Mumie zum Leben erwacht und wollte mir zur Rache an die Gurgel. Laut schreiend hatte ich mich so gerade noch befreien und die Flucht antreten können, hinaus aus der Ausstellung und durch ein von uns zuvor präpariertes Fenster nach draußen. Wo ich mich nun befand.
Bei jedem Blick nach Hinten war die Mumie wieder ein paar Schritte näher gekommen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie sie das schaffte, immerhin hatte sie sich Jahrtausende nicht bewegt, ihre Gelenk mussten doch komplett steif sein. Trotzdem folgte sie mir, ohne auch nur den Anflug von Schwäche zu zeigen, während ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Und dann hatte ich mich für den falschen Weg entschieden. Ich stand in einer Sackgasse. Hinter mir kam die Mumie, zu beiden Seiten standen Gebäude, während vor mir das Ufer eines kleinen Sees lag. Es blieb mir nichts anderes übrig, als zu schwimmen. Ich stieg in das kalte Wasser, machte ein paar kurze Schwimmzüge und wäre beinahe kraftlos untergegangen. Ich war am Ende und sah mich bereits in den Fängen meines Verfolgers. Ich warf noch einmal einen Blick zurück. Die Mumie stieg bereits in den See. Doch dann begann sie unmenschlich zu schreien. Von den Füßen an löste sie sich plötzlich auf. Ihre Bandagen verschwanden und damit auch der Rest von ihr.
»Ha!« Triumphierend brüllte ich ihr entgegen und sah dem Todeskampf begeistert zu. »Ich habe es doch gleich gesagt. Toilettenpapier war eine ganz dumme Idee von dir. Merkst du jetzt bestimmt auch.«

(c) 2021, Marco Wittler


Image by William Flitcroft from Pixabay

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