1220. Die alte Burgruine ist in Gefahr

Die alte Burgruine ist in Gefahr

Vor ein paar Stunden war die Sonne hinter dem Horizont verschwunden. Mittlerweile war es finstere Nacht und die unzähligen Sterne funkelten am Firmament.
Irgendwann schlug auf dem Dachboden der alten Burgruine zur Mitternacht. Damit begann die von den Menschen so sehr gefürchtete Geisterstunde. Aus einem völlig unbeachteten Versteck auf dem Dachboden kam ein kleiner Geist hervor. Er reckte und streckte sein Bettlaken in alle Richtungen, gähnte laut und schwebte zum fast komplett erblindeten Spiegel, in dem er sich eingehend betrachtete. Hier und da zuppelte er noch ein wenig an sich herum, bis der Stoff überall die richtigen Falten aufwies. »Curtis, du bist ein verdammt hübscher, kleiner Geist. Dir wird kaum jemand das Wasser reichen können, wenn du spuken gehst.« Er lachte und schwebte durch die alten Gemäuer nach draußen.
»Was werden ich denn heute Nacht unternehmen?«, fragte er sich. »Soll ich vielleicht hinunter ins Dorf fliegen, um Menschen zu erschrecken oder streife ich durch den nebligen Wald, um einsame Wanderer in Angst zu versetzen? Ich könnte aber auch einen gemütlichen Abend mit meinen gespenstischen Freunden verbringen und mit ihnen die neuesten Gruselgeschichten austauschen.«
Curtis war völlig unentschlossen und konnte sich einfach nicht entscheiden. Ihm machte halt alles davon mächtig viel Spaß. »Ich glaube, ich werde heute …« Weiter kam er nicht. Denn plötzlich sah er etwas, das ihm mächtig Angst bereitete.
»Verdammt! Ich muss zurück und die anderen warnen.«
Curtis machte kehrt und flog zurück zur Burgruine.
»Da kommt eine große Gefahr auf uns zu.«, rief er den anderen Geistern entgegen. »Unsere Burgruine, unser aller Heim könnte schon bald nicht das sein, was sie für uns schon seit Jahrhunderten darstellt. Wenn es ganz schlimm kommt, werden von ihr bis zum Morgengrauen nur noch ein Haufen Steine übrig bleiben.«
Die kleinen Geister bekamen Panik. Was kam da nur auf sie zu? Was sollten sie machen? Konnten sie die Burg noch retten? Jemand brauchte eine rettende Idee, einen Plan, der funktionierte.
»Ich weiß etwas.« Curtis rief schnell seine Freunde zusammen und gab jedem eine Aufgabe. »Ihr werdet ohne Unterlass immer wieder um die Ruine fliegen. Das könnte den Angreifer ängstigen und in die Flucht schlagen. Falls das nicht hilft, wird sich uns ein Gigant unvorstellbaren Ausmaßes anschließen. Das sollte funktionieren.«
Ein Gigant? Ein Riese vielleicht? Doch wo sollte Curtis so einen in kürzester Zeit auftreiben? Nein, das konnte sich niemand vorstellen. Also zogen die Geister ihre Kreise und heulte so laut sie nur konnten.
Curtis verschwand hinter der Ruine, kontrollierte, dass ihn niemand beobachtete und steckte sich einen Daumen in den Mund. Durch die Nase sog er kräftig Luft ein und blies sich langsam auf. Sein Laken blähte sich auf. Curtis wurde größer und größer, bis er so groß wie die Burg war. Langsam legte er eine Hand um den Turm und kam herum. Ein lautes, Ohren zerschmetterndes Buh kam aus seinem Mund, dass alles in der näheren Umgebung in Angst und Schrecken versetzt wurde. Das sollte doch den Gegner verjagen.
»Spielst du schon wieder Riese?«, fragte da der Vampir, der normalerweise in den dunklen Kellergewölben lebte und sich nur selten auf dem Dachboden blicken ließ. Er griff sich die kleine Schneekugel, in der sie eine winzige Kopie der Burgruine befand und hinter der sich Curtis gerade versteckte.
Curtis Wangen färbten sich rot. Er wollte doch nicht, dass ihn jemand beim Spielen sah. Er schwebte aus der Schneekugel heraus und versteckte sie in seinem Schrank.
»Nein, ich habe nicht gespielt. Ich habe nur nachgezählt, ob noch alle Schneeflocken da sind.« Er legte ein schiefes Lächeln auf. »Sie sind noch vollzählig.«
»Das ist doch gut.«, sagte der Vampir. »Und wenn du doch einmal Lust auf ein Spiel mit der Schneekugel hast, sag mir Bescheid. Ich kenne da jemanden, der sehr großes Talent hat, sich in eine Fledermaus zu verwandeln. Er könnte den bösen Angreifer spielen.« Der Vampir grinste, zwinkerte Curtis zu und verließ den Dachboden wieder.

(c) 2022, Marco Wittler

Die Geschichte entstand durch das wundervoll und inspirierende Bild von Rike. In ihrem Twitter Profil hat sie noch viel mehr. Schau doch mal vorbei.

https://twitter.com/fuchsfamos/status/1491723269413740545?s=20&t=WMbauq73TGP29xUcN8drOg

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