1292. Die Brille des Sherlock Holmes (Mann und Manni 59)

Die Brille des Sherlock Holmes

Pünktlich zu Beginn der Osterferien hatte der Mann mit seiner Frau das Wohnmobil entstaubt und aus der Garage geholt. Es stand also wieder eine Urlaubsfahrt an. Wohin es wohl dieses Mal gehen würde? Spanien? Italien? Hauptsache warm.
»Alle ab ins Auto.«, rief er uns. Also sammelte ich meine Mitbewohner ein und trieb sie in unser fahrbares Heim.
Lord Schweinenase rannte hinein. Er konnte es kaum erwarten, wieder unterwegs zu sein. Die Mini-Mietze trottete hinterher. Sie hatte es nicht eilig. Sie wusste, dass wir nicht ohne sie fahren würden. Der einzige, der zitternd auf dem Arm der Frau getragen wurde, war der ängstliche Bengale. Er entfernte sich nur ungern vom Bett, unter dem er die meiste Zeit Schutz und Versteck suchte. Als letzter wuchtete ich meinen stattlichen Katzenkörper ins Innere.
Ach, da hätte ich es beinahe vergessen. Mein Name ist Manni. Ich bin der Kopf des besten Ermittlerteams der Stadt. Mann und Manni kennt man in jeder Straße und in jedem Winkel. Wir haben bisher noch jeden Fall erfolgreich gelöst.
Der Mann startete den Motor und fuhr von der Einfahrt auf die Straße. »Jetzt machen uns auf den Weg in die Eifel.«
Eifel. Ich dachte kurz nach. Eifel? Verdammt. Was sollten wir denn in dieser langweiligen Provinz, in der so aussah, wie bei uns im Sauerland?
Ich wollte protestieren, wollte dagegen aufbegehren. Aber niemand hörte auf mich. Man ignorierte jeden meiner Einwände. Es bleib mir also nichts anderes übrig, als mich in mein Schicksal zu fügen.

Nach ein paar Stunden Fahrt erreichten wir eine kleine Stadt, die mitten zwischen grünen Hügeln gelegen war. So schlimm sah es hier gar nicht aus. Allerdings wollte ich das vor den anderen auch nicht zugeben. Deswegen ignorierte ich auch den Ortsnamen. Zum einen war ich weiterhin nicht interessiert, zum anderen heuchelte ich übertriebenes Desinteresse. Doch plötzlich hellte sich meine grimmige Miene von allein auf. Wir hielten vor einem Haus, das mich sofort begeisterte. Dort stand Krimicafé geschrieben.
Wir betraten es gemeinsam. Mann und Frau bestellten ein üppiges Frühstück, wir Katzen bekamen eine Schüssel mit unserem geliebten Trockenfutter.
Vor uns unter der gläsernen Tischplatte lagen viele antike Gegenstände, die alle mit meinem großen Vorbild Sherlock Holmes zu tun hatten. Wundervoll. Doch irgendwas stimmte da nicht. Etwas fehlte. Mein wachsames Auge wusste sofort, was es war. Die Brille des Meisterdetektivs war verschwunden. Ja, gut, dass mir das auffiel, lag wohl auch daran, dass das Brillenetui leer da lag.
Wir mussten diesen Fall klären. Ich trommelte mein Team zusammen, um uns auf die Suche zu machen. Normalerweise hatte ich damit keine Probleme, doch unter den Augen der besten Ermittler und Spürnasen der Welt, die auf dutzenden Fotos an den Wänden hingen, fiel es mir besonders schwer. Ich musste mich hier wirklich beweisen.
Wir begannen zu suchen. Mit unseren Nasen erschnupperten und verfolgten wir jede Spur, die wir fanden. Zugegeben, damit waren wir sehr schnell überfordert. Hier kamen tagtägliche zu viele Gäste herein. Doch irgendwann schlug der Bengale an.
Während ich mich auf den gesamten Laden konzentriert hatte, stand er nur bewundernd vor einer mannsgroßen Puppe von Sherlock Holmes, die sich lässig an einen Kamin lehnte.
Er hatte auf der grauen Weste einen Stoffflicken entdeckt, der offensichtlich nicht komplett fest war. Dahinter war ein leises Rascheln zu hören.
Ich schickte die Mini-Mietze nach da oben. Sie kletterte an der Hose hoch und griff hinein. Sekunden später holte sie eine kleine Maus hervor, auf deren Nase die Brille saß.
»Bitte fresst mich nicht auf. Ich tu doch niemandem etwas.«
Ich schüttelte den Kopf und versicherte ihr, dass mir mein Trockenfutter lieber war. Stattdessen verlangte ich die Herausgabe der Brille.
»Ich habe sie mir nur ausgeborgt.«, sagte die Maus entschuldigend. »Ich lese so gerne Krimis, von denen es hier im Haus so unglaublich viele gibt. Nur leider lassen meine Augen langsam nach.«
Ich seufzte. So hatte ich mir das Ende dieses Kriminalfalls nicht vorgestellt. Zähneknirschend ließ ich ihr die Brille und bat die Mini-Mietze, die Maus wieder in ihr Versteck zu setzen. Zum Abschied gab ich ihr noch etwas mit auf den Weg. Ich sagte ihr, dass wir uns nie gesehen hätten.

(c) 2022, Marco Wittler

 

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