1535. Weihnachten im Hexenhaus

Weihnachten im Hexenhaus

Die kleine Hexe blickte aus dem Fenster. Draußen war nicht viel zu erkennen. Das lag nicht daran, dass es zu dunkel war. Der wahre Grund war, dass sie ihre Brille mit den dicken Gläsern nicht aufgesetzt hatte. Die lag gut versteckt in ihrer tiefen Manteltasche.
Die Hexe blickte sich verstohlen. Sie wusste genau, dass sie allein zu Hause war, wollte dennoch auf Nummer sicher gehen. Sie kniff ihre Augen zu Schlitzen zusammen, um irgendwas in der unscharfen Umgebung zu erkennen. Besser wurde die Sicht natürlich nicht. Sie wollte trotzdem nicht mit Brille gesehen werden. Das war ihr einfach zu peinlich.
»Niemand da.« Sie griff in die Tasche, holte die Brille hervor und setzte sie auf die Nase. Endlich konnte sie scharf sehen.
Draußen schien der Nachthimmel aus unendlich vielen Sternen zu bestehen. Von den höchsten Höhen bis zum Boden glitzerte es, bis die kleinen Lichter auf dem weißen Boden zum Liegen kamen. Es schneite kräftig in dicken Flocken und versteckte die Erde und den Wald unter einer weißen Decke.
»Das schaut so wunderschön aus. Der Schnee kommt gerade richtig zum Weihnachtsfest.«
Weihnachten. Die kleine Hexe erschrak. Seit Tagen hatte sie sich auf diesen Moment gefreut und nun, da er buchstäblich vor der Haustüre stand, war sie nicht darauf vorbereitet.
Sie blickte auf die Uhr, deren Zahlen besonders groß waren. »Du meine Güte. In einer Viertelstunde kommt mein Besuch.«
Nur noch fünfzehn kurze Minuten, bis die zerfledderte Mumie, der immer durstige Vampir und das zottelige Monster auf der kleinen Lichtung im tiefen Wald ankamen. »Und dann vergesse ich bei meiner Aufzählung auch noch das Gespenst, dass so schüchtern ist, dass es sich immer und überall unter einem alten Bettlaken versteckt.«
Die kleine Hexe drehte sich einmal, zweimal, dreimal im Kreis. Ihr kleines Häuschen war seit Tagen fertig geschmückt. Das Abendessen würde schnell mit einem passenden Zauberspruch gekocht werden. Nur der Baum war noch nicht geschmückt. Das musste dringend erledigt werden.
Sie zog ihren Zauberstab aus dem Ärmel, wedelte mit ihm durch die Luft, zog unsichtbare Kreise und überlegte sich schnell einen Zauberspruch, der hoffentlich funktionieren würde.
»Eins, zwei, drei. Glitzernder Baumschmuck, komm geschwind herbei.«
Augenblicklich begann das Hexenhaus zu erzittern, dass der Staub der vergangenen Jahrhunderte aus jeder Ritze rieselte. Die Fenster rissen auf. Kräftige Winde wehten auf der einen Seite herein und auf der anderen wieder heraus. Eine große Menge Schnee kam dabei ins Hexenhaus und bedeckte den Weihnachtsbaum von der Spitze bis zum Erdballen, in dem er steckte. Einen Wimpernschlag später schlossen sich die Fenster wieder und Ruhe kehrte ein.
»Was war denn das?« Die Hexe sah sich erschrocken um. So einen krassen Zauber habe ich noch nie erlebt.« Ihr Blick fiel auf den Baum, der nun im Licht der Öllampen wie der Sternenhimmel selbst glitzerte. »Aber dafür schaut der Baum viel schöner aus, als ich ihn mir vorgestellt habe.«
Die kleine Hexe nahm ihre Brille wieder von der Nase, verstaute sie sorgsam in ihrer Tasche und ging zur Tür. »Jetzt darf mein Besuch kommen.« Da klopfte bereits jemand an.

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