1629. Der Wolf und die sieben Geißlein

TRIGGER WARNUNG / CONTENT NOTE:
Bitte lies meine Geschichten einmal selbst, bevor du sie deinen Kindern vorliest. Sie sind zu Halloween etwas gruseliger, auch wenn sie lustig enden. Bitte bewerte vorher, ob dein Kind die Geschichten bereits versteht, damit umgehen kann und sich nicht zu sehr gruselt.

Der Wolf und die sieben Geißlein

»Ich habe Hunger. Ich habe riesengroßen Hunger.« Der Wolf lief unruhig durch den tiefen, dunklen Wald. Im Abstand von Augenaufschlägen bewegte er den Kopf mal zur einen, mal zur anderen Seite. Er hatte die Hoffnung, irgendeine Witterung aufzunehmen. Vielleicht gab es in der Nähe ein altes, krankes oder verletztes Tier. »Ich habe immer noch Hunger.«
»Dann solltest du vielleicht mal deine Klappe halten.«, antwortete ihm eine dicke, satte Katze, die in mehreren Metern Höhe auf einem Ast lag und dem Wolf nur mit einem Auge folgte, während das andere geschlossen war. »Würdest du nicht die ganze Zeit so viel reden, könnte ich endlich meinen Verdauungsschlaf machen und deine Beute wüsste nicht schon im Voraus, dass du kommst.«
Dem Wolf blieben nicht nur die Worte, sondern auch die Spucke weg. »Pöh!« Mehr bekam er nicht heraus und lief schnell weiter.
Nach einer Weile stieg ihm ein herrlicher Duft in die Nase. Irgendwo stand ein Topf auf dem Feuer. Jemand kochte eine leckere Suppe. »Na ganz toll. Jetzt habe ich noch mehr Hunger. Aber wer weiß. Wenn irgendwo gekocht wird, muss auch ein schmackhafter Koch in der Nähe sein. Vielleicht kann ich ihn einfangen und auffressen.«
Der Wolf duckte sich, schlich sich an eine nahe Lichtung heran und späte durch das Unterholz. Mitten auf einer Wiese stand ein kleines, windschiefes …
»Verdammt! Das ist ein Hexenhaus. Wenn ich nicht aufpasse, lande ich am Ende selbst im Topf.«
Er wollte sich bereits zurückziehen, als er jemanden hinter einem der Fenster sah. »Das ist ein Geißlein. Dort lebt gar keine Hexe.« Er rieb sich die Pfoten. Das Abendessen war so gut wie gesichert. Der Wolf richtete sich selbstbewusst auf, ging zum Haus und klopfte einfach an. Er hob seine Stimme an. »Ich bin es, die Mama. Lasst mich herein.«
Die Tür öffnete sich einen Spalt. Der Wolf drückte sofort mit großer Kraft dagegen und sprang in die Stube. Er sah eins, zwei, drei, … es waren ganze sieben Geißlein. Es konnte sich nur um einen Traum handeln. Er würde nicht eher aufhören zu fressen, bevor er sie nicht alle verspeist hatte.
Die Mutter war nicht weit entfernt. Sie sammelte gerade leckere Kräuter. Bei jedem Blatt, das sie abzupfte musste sie lächeln. Sie musste daran denken, wie sie in ihrer Jugend immer wieder ein paar Buben hereingelegt hatte. »Ich sprang nur über Gräbelein und fand kein einzig Blättelein. Mäh. Mäh.« Wie oft hatte sie mit diesem Spruch den Bauern und seine Söhne aufs Glatteis geführt?
In diesem Moment drang ein Schrei an ihr Ohr. »Oh nein. Es ist etwas mit den Kindern. Ich muss sofort nach Hause.«
Sie ließ die Kräuter fallen, lief los und erreichte das Häuschen. Sie stieß die Türe auf und entdeckte den Wolf, der sich ein Geißlein nach dem anderen ins Maul schob. Dieser schien mit seiner Mahlzeit aber völlig überfordert zu sein. Ihm standen die Tränen in den Augen. Er hielt sich mit verkrampften Händen den Bauch.
»Was geschieht denn hier?« Die Mutter legte den Kopf schief und die Stirn in Falten. Erst jetzt fiel ihr auf, dass ihre Kinder freiwillig wieder und wieder in den Schlund des Eindringlings sprangen.
Der Wolf drehte mühsam seinen Kopf, entdeckte die alte Geiß. »Bitte … hilf mir!«
Sie schüttelte den Kopf, begann zu lachen. »Was denkst du, wo du gelandet bist? Glaubst du, du könntest es mit den sieben Geistlein aufnehmen? Du wolltest meine Kinder fressen. Jetzt sieh selber zu, wie du sie wieder loswirst.«
Sie setzte sich auf einen Schemel in der Ecke, griff zum Strickzeug und sah immer wieder dabei zu, wie die Geistlein in das Maul des Wolfes sprangen und geisterhaft durch die Bauchdecke wieder ins Freie schwebten.

(c) 2024, Marco Wittler

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