1655. Das Geisterschiff

TRIGGER WARNUNG / CONTENT NOTE:
Bitte lies meine Geschichten einmal selbst, bevor du sie deinen Kindern vorliest. Sie sind zu Halloween etwas gruseliger, auch wenn sie lustig enden. Bitte bewerte vorher, ob dein Kind die Geschichten bereits versteht, damit umgehen kann und sich nicht zu sehr gruselt.

Das Geisterschiff

„Ho, oh und ‘ne Buddel voll Rum.“
Der Käpt‘n sah seinen Steuermann mit einem genervten Blick an. „Ein Ho mehr und dich halten alle für den Weihnachtsmann. Ich setz dich in den Ausguck und erzähle der Mannschaft, dass das dein Schlitten ist, von dem aus du die Geschenke verteilst.“ Er grimmiges Lachen entfloh seiner Kehle.
„Dann bekomme ich aber ein klitzekleines Problemchen, Chef.“ Der Steuermann hielt Daumen und Zeigefinger so nah beieinander, dass nur mit Mühe ein Pergament dazwischen gepasst hätte. Mit größter Konzentration schaute er auf den wenigen Platz dazwischen und begann zu schielen, bevor ihm bewusst wurde, dass er noch etwas sagen wollte. „Ähm … wo war ich? Ach ja, das Problem. Wir sind Piraten. Im goldenen Buch des Weihnachtsmanns stehen wir auf der allerletzten Seite, hinter jedem Namen ein rotes Warnsignal. wir bekommen keine Geschenke.“
„Dann solltest du vielleicht aufhören, immer wieder die gleichen Piratensprüche zu reißen. Das wird langsam langweilig und könnte deinen Käpt‘n, also mich, so weit zur Weißglut treiben, dass ich dich über die Planke schicke und Kiel holen lasse.“
Der Steuermann schluckte, wusste er doch ganz genau, das mit Käpt‘n Schnodderbacke nicht zu spaßen war.
„Wenn wir noch vor den Feiertagen eine Handelskogge aufbringen und fette Beute machen, dann könnte es sein, dass ihr einen freundlich gestimmten Käpt‘n habt, der euch großzügig daran teilhaben lässt.“
Und als hätte er es geahnt,tauchte in diesem Moment am Horizont ein großes Segel auf, dass vom Matrosen im Ausguck sofort entdeckt wurde.
„Nehmt Kurs auf. Noch heute Abend werde ich … ähm … werden wir reiche Männer sein. Dann feiern wir alle gemeinsam in ein paar Wochen ein wundervolles Weihnachtsfest.“ Käpt‘n Schnodderbacke rieb sich die Hände, griff anschließend zum Fernrohr und behielt das andere Schiffe genau im Auge. Hin und wieder bellte er Befehle über das Deck. Er durfte jetzt nichts dem Zufall überlassen. Seine Mannschaft musste so reibungslos funktionieren, wie ein schweizer Uhrwerk.
Der Wind stand günstig. Da die Piraten über sehr viel mehr Segel verfügten, als ihre Opfer, holten sie sehr schnell auf. Doch dann stockte den Piraten der Atem. Das Schiff war übersät mit Algen, Moosen und Muscheln, nicht nur am Rumpf, auch an den Masten. Die Segel waren stark verschmutzt und an mehreren Stellen eingerissen. Eine Mannschaft war weit und breit nicht zu sehen.
„Beim Klabautermann, man geht denn hier vor?“ Käpt‘n Schnodderbacke lief es eiskalt den Rücken herunter. Ihm kamen sofort die Geschichten vom fliegenden Holländer und Geisterschiffen in den Kopf. Kurz spielte er mit dem Gedanken, diesen Raubzug abzublasen, doch dann siegte seine Gier nach einer fetten Beute.
„Fertig machen zum Entern!“
Die Piraten bewaffneten sich, warfen ihre Enterhaken und sprangen auf das andere Schiff.
„wir haben freie Bahn. Nehmt mit, was ihr in die Finger kriegen könnt, aber haltet die Augen offen, falls es doch ein Hinterhalt ist.“
Die Piraten stürmten brüllend über das Deck, durchsuchten jedes Fass und jede Kiste, bis einer von ihnen panisch zu schreien begann.
Käpt‘n Schnodderbacke sah auf, entdeckte seine schaurigen Gegner sofort. Aus kleinsten Schlitzen im Holz, aus Türen und Fenstern kamen unzählige Geister hervor. Sie flogen über dem Deck hin und her und versetzten die Piraten in Angst und Schrecken.
Käpt‘n Augenklappe war hin- und hergerissen. Er wollte sich auf keinen Fall die Beute entgehen lassen, auf der anderen wollte er aber auch nicht gegen Geister kämpfen. Einen Toten konnte man besiegen.
„Behaltet die Augen offen, schaut euch regelmäßig um, dass sie euch nicht von hinten angreifen.“ Doch dann wurde die Tür zur Kapitänskajüte aufgestoßen und ein riesiges zotteliges Monster kam hervor. Laut brüllend stapfte es auf Käpt‘n Schnodderbacke zu und fegte die Piraten mit seinem mächtigen Arm von Bord, als wären sie nur unbedeutende Kastanienmännchen.
Der Käpt‘n wollte flüchten, wollte sich auf seinem eigenen Schiff in Sicherheit bringen, war aber bereits in die Ecke gedrängt. Er konnte hier nicht weg. Also zog er todesmutig sein Schwert und lief dem Monster entgegen. Mit einem gekonnten Schlag gegen den Hals, trennte er ihm den Kopf ab.
„Cut!“, rief jemand. „Cut!“ An der Seite des Geisterschiffs fuhr der Arm eines Krans hoch, auf dem ein Mann mit Megafon saß und neben ihm ein zweiter mit einer Kamera. „Das steht so nicht im Drehbuch. Und warum werden hier einfach die teuren Kostüme zerstört? Das ziehe ich euch vom Gehalt ab. Mit solchen Stümpern habe ich noch nie gearbeitet. Verschwindet von meinem Set.“
Käpt‘n Schnodderbacke wusste noch immer nicht, wie ihm geschah, während die Geister, wie er nun erkannte, an Drahtseilen hingen und zurück in ihre Verstecke gezogen wurden und ein Schauspieler zitternd vor Angst aus dem Monsterkostüm kletterte.
„Was ist das hier? Was hat das alles zu bedeuten?“ Schnodderbacke verstand immer noch nicht.
„Das ist ein Filmset, du Schlaumeier.“, sagte der Regisseur erbost. „Wir drehen hier einen Piratengruselfilm. und jetzt sieh zu, dass du endlich Land gewinnst. Wir müssen die Szene im Kasten haben, bevor die Sonne untergeht und wir nicht mehr genug Licht zum drehen haben.“
Der Käpt‘n schüttelte den Kopf, während er sein Schwert einpackte und auf sein eigenes Schiff kletterte. Das Piratengeschäft war auch nicht mehr das, was es einmal war.

(c) 2024, Marco Wittler

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