N.C.I.S. Katze – Lange, spitze Zähne
Ding! Die Fahrstuhltür öffnete sich und Special Agent Atheno Grips, ein schlanker, braun getupfter Bengalkater betrat das Büro im obersten Stockwerk des Leuchtturms im Hafen. Während er in der einen Pfote seinen unverzichtbaren Katzengrastee umklammert hielt, brachte er auf der anderen einen Pappkarton mit.
Die anderen Mitglieder seines Teams, der rote Kater Tony DiNase, der grauweiße Kater Tim McKatze und die schwarzweiße Katzenlady Abby Schnuto sahen ihren Boss kommen und verzogen ihre Gesichter.
»Du hast nicht wirklich Baldrianberliner mitgebracht?«, fragte Tim skeptisch, obwohl er gerade einen richtigen Heißhunger auf etwas Süßes bekam.
»Warum machst du daraus jetzt gleich wieder ein Problem? Magst du meine Berliner etwa nicht?« Es blitzte in den Grips Augen auf.
»Das ist es nicht, Boss.«, mischte sich Tim ein. »Denk dran, was die letzten Male passiert ist, als du Gebäck mitgebracht hast.«
Der Bengale dachte kurz nach. »Das waren alles ganz ruhige Bürotage, an denen wir nichts zu tun hatten. Es waren die perfekten Tage für Gebäck und Tee.«
»Ja, das stimmt, zumindest bis zu dem Moment, in dem wir in deinen Karton gegriffen haben. Da wendete sich das Blatt.«
»Ach, komm schon Tim. So böse kann es das Schicksal gar nicht mit uns meinen, dass es uns jedes Mal einen Fall vor die Pfoten wirft, wenn wir mal etwas Leckeres genießen wollen. Das waren alles nur Zufälle.«
Um seinem misstrauischen Team zu beweisen, dass sie falsch lagen, stellte er Grips den Karton auf seinen Schreibtisch, öffnete den Deckel und griff hinein. Kaum berührte seine Pfote den ersten Berliner, begann neben ihm das Dosentelefon zu rappeln.
»Verdammt! Ich hab es doch gewusst.« Tony verdrehte seine Augen und ließ sich frustriert in seinen Sessel fallen. »Wir haben hier drin ganz schlechte Energien. Das spüre ich bis in meine Schwanzspitze hinein.«
Grips gab den anderen ein Zeichen, dass sie still sein sollten, dann griff er zum Dosentelefon und nahm das Gespräch.
»Hier spricht Special Agent Grips.« Die nächsten Sekunden hörte er schweigend zu, während die Blicke seines Teams auf ihm ruhten. »In Ordnung.« Er hängte die Dose zurück an ihre Halterung und blickte in die Runde. »Packt euer Zeug. Wir haben einen Fall.«
Die Agents stöhnten genervt. Es war einfach jedes Mal das Gleiche, wenn Grips Gebäck mitbrachte. Jemand musste das Büro heimlich verflucht haben. Sie griffen nach ihren Taschen und eilten zum Aufzug.
»Hey, Leute, kann ich auch mal mit in einen Außeneinsatz gehen? Ich sitze schon seit Monaten an meinem Schreibtisch und bin kein einziges Mal vor die Tür gekommen. Ich möchte doch nur beweisen, dass ich auch ein guter Agent bin.« Ein Capybara, das eine bunte Fliege um den Hals trug, war dem Team gefolgt und blickte es bittend an, während Tim nach einer passenden Antwort suchte.
»Ähm, vielleicht beim nächsten Mal, Carl. Das hier ist eine Katzenangelegenheit. Ich bin mir nicht sicher, ob uns ein Austausch-Agent von Übersee dabei helfen kann. Ich behalte dich aber im Hinterkopf. Sobald wir dich brauchen, rufe ich dich an und du kommst einfach nach.«
»In Ordnung.« Carl seufzte, ließ den großen Kopf hängen und schlich zurück an seinen Platz. »Wieder nur Schreibtischarbeit. Ich bin mir sicher, dass ich für mehr geschaffen bin. Hoffentlich kommt eines Tages mein großer Augenblick, in dem ich mich den anderen beweisen kann.«
Der N.C.I.S. hatte es nicht weit. Nur einen Steinwurf vom Leuchtturm entfernt machten sie an der Hafenkante Halt und blickten mit Grauen auf das Meer hinaus.
In der Ferne waren dunkelgraue Wolken aufgezogen, denen dichter Nebel vorauseilte. Man konnte nur ein paar Dutzend Meter weit schauen. Doch das, was gerade auf das Ufer zukam, machte ihnen Angst.
»Ihr seht doch aus, was ich gerade sehe?« Tony schluckte schwer. Das Wasser schien zu brodeln. Es schäumte durch die Schwimmbewegungen mächtiger Klauen auf. »Das sind Krokodile und Alligatoren. Das müssen Hunderte, wenn nicht gar Tausende sein. Wenn sie es an Land schaffen, haben wir ein ganz großes Problem. Es könnte viele Verletzte in Cat City geben. Jemand muss sie aufhalten. Hoffentlich findet sich bald jemand dieser Aufgabe gewachsen.«
Atheno Grips blickte ungläubig auf sein Team. »Jemand?« Er wurde noch etwas lauter. »Jemand? Wir sind der N.C.I.S., es ist unsere Aufgabe, uns um Probleme zu kümmern, die mit dem Meer und unseren Seeleuten zu tun haben. Wir müssen dieser Aufgabe gewachsen sein.« Nur war auch er sich nicht ganz sicher, wie sie die Stadt gegen Krokodile und Alligatoren schützen sollten, geschweige denn, wie das funktionieren konnte, ohne sich die Pfoten nass zu machen.
Aus dem Nebel schälte sich langsam ein großes Objekt. Zuerst war es nur in schemenhafter Schatten, doch nach und nach wurden die Umrisse klarer. Ein beeindruckend großes Segelschiff folgte den mit riesigen, scharfen Zähnen bewaffneten Reptilien.
»Verdammt!« Tim machte zwei Schritte zurück, bis er mit dem Rücken gegen den Leuchtturm stieß. »Das sind die Piratenkatzen. Jetzt wird mir auch klar, warum wir von diesen grünen Untieren angegriffen werden. Sie wollen die Stadt ausrauben und dabei fette Beute machen.«
Abby Schnuto, die bisher nur am Rand gestanden hatte, begann zu grinsen. »Macht mal Platz, Jungs. Ich habe da eine Idee. Bei dieser Sache kann uns nur noch einer helfen. Jetzt ist die richtige Zeit, um ein Held zu werden.«
»Das sagst du so leicht. Mit den Piraten sind wir schon einmal fertig geworden, aber sie haben Verstärkung mitgebracht. Ich weiß nicht, ob ein Eingreifen uns zu Helden macht oder wir dabei unter die Räder kommen.«
Sie schob Tim und Tony zur Seite und öffnete die Tür des Leuchtturms. »Wer redet denn von euch? Ich meine einen richtigen Helden, einen von dem ihr noch gar nichts wisst, der wohl selbst noch nicht weiß, dass er die Stadt retten wird.«
Ohne ein weiteres Wort der Erklärung eilte sie ins Gebäude und ließ drei ratlose Kater zurück. Es dauerte ein paar Minuten, bis Abby zurück war.
»Und? Wo ist jetzt dein Superheld?«, fragte Tim ungeduldig, nachdem sie nicht daran dachte, ihre Kollegen aufzuklären.
»Wenn ich richtig liege, müsste er jeden Moment auftauchen.«
Und sie lag goldrichtig. In diesem Moment öffnete sich das Fenster des Büros in der obersten Etage des Leuchtturms. Mit einem Flugdrachen sprang Carl nach draußen. »Ich bin ein Held!«, rief er laut. »Ich rette die Welt!«
Er steuerte auf die Reptilien zu, landete auf einem Tier in der ersten Reihe und spazierte gemütlich von einem zum anderen, ohne gebissen, ohne auch nur beachtet zu werden. Es war, als wäre er für Krokodile und Alligatoren unsichtbar.
»Ich habe mal eine Dokumentation über Capybaras gesehen.«, begann Abby mit einem Lächeln zu erklären. »Sie sind absolut furchtlos. Sie kennen nicht einmal Angst vor langen, spitzen Zähnen. Auf der anderen Seite wissen sie sich aber auch zu wehren, deswegen lassen Krokodile sie einfach gewähren. Sie wollen sich einfach keinen Ärger einfangen.«
Inzwischen hatte Carl das Schiff der Piratenkatzen erreicht. Er hob einen Daumen, um zu zeigen, dass alles in Ordnung war und kletterte an Bord. Kurz darauf begann das Schiff langsam, aber stetig zu sinken.
»Hä?« Special Agent Gripse war völlig überrascht. Wie hat er das denn so schnell geschafft? Das würden meine besten Leute nicht mal in der doppelten Zeit auf die Kette kriegen.«
»Das ist auf meinem Mist gewachsen. Mein Vater war Werftarbeiter und hat mir mal erzählt, dass jedes Schiff im Rumpf einen Gummiverschluss hat. Damit kann man eingedrungenes Wasser ablassen, wenn das Schiff auf dem Trockenen liegt.«
Grips verstand und lachte. »Und wo Wasser raus kann, kann es natürlich auch eindringen und damit eine ganze Piratenmannschaft versenken.«
»Auftrag erledigt, Boss.« Carl tippte Grips voller Stolz auf die Schulter. »Ich glaube, ich bin jetzt bereit, dem Team beizutreten und regelmäßig in Einsätze zu gehen.«
Der Boss nickte. »Willkommen im Team, Carl.«
Inzwischen hatten auch die Krokodile und Alligatoren bemerkt, dass der Plan gescheitert war. Schnell machten sie kehrt und versuchten zu retten, was noch zu retten war. Mit vereinten Kräften zogen sie das Schiff in den Nebel zurück, um es in das nahe Piratennest zu bringen.
»Und jetzt gehen wir zurück ins Büro, um ein paar leckere Baldrianberliner zu essen.«
Tim, Tony und Abby hielten inne. »Das ist nicht dein Ernst, Boss. Du weißt doch, was …«
»Ja, was denn?« In Grips Augen funkelte es. »Lasst mich ein für alle Mal mit euren Schauergeschichten in Ruhe. Mein Gebäck hat keine Schuld.« Er legte dem Capybara einen Arm auf die Schulter. »Komm, Carl. Wir machen zusammen Teezeit. Wenn die anderen verzichten wollen, haben sie halt Pech gehabt.«
Kurze Zeit später rappelte erneut das Dosentelefon auf Grips Schreibtisch.
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