Der Bon-Bon Krieg
Kalle stand vor dem kleinen Laden und starrte durch das Schaufenster in das Innere. Sein Blick galt nicht den Menschen, die gerade ihre Einkäufe tätigten, sondern dem großen Regal hinter der Theke. Dort lagerten in großen Glasgefäßen unzählige Bon-Bons in vielen Geschmacksrichtungen.
»Wenn ich doch bloß noch etwas von meinem Taschengeld übrig hätte. Aber ich bin schon wieder pleite.«
In diesem Moment kamen seine Freunde Paul und Johannes um die Ecke gebogen.
»Was machst du denn da? Frierst du dir nicht die Zehen ab? Es sind zwanzig Grad unter Null. Da kannst du doch nicht so einfach stehen bleiben.«
Sie hatten Recht. Der Winter hatte das Land fest in seinem Griff. Überall lag Schnee, teilweise bis zu einem halben Meter hoch. Kalle sah an sich herab und bemerkte, dass seine Schuhe bereits komplett in der weißen Masse verschwunden waren.
»Oh nein. Da wird Mama aber sauer sein, wenn ich wieder mit nassen Socken und Schuhen nach Hause komme.«
Trotzdem sah er wieder durch das Schaufenster.
»Ich will Bon-Bons haben. Ich habe schon seit zwei Tagen keine mehr gegessen.«
Seine beiden Freunde lachten zuerst. Doch dann stellten sie fest, dass es ihnen nicht besser ging. Auch ihre Taschen waren leer. Das nächste Taschengeld würde noch eine Weile auf sich warten lassen.
»Was machen wir denn nun?«
Die Frage wurde allerdings nicht mehr gehört. Kalle hatte bereits den Laden betreten und stand nun vor der Theke. Er sprach eine Weile mit der Verkäuferin und kam dann grinsend wieder auf die Straße zurück.
»Was ist los?«, wollte Paul wissen.
»Wir bekommen die Bon-Bons umsonst, müssen dafür allerdings ein paar Werbezettel in der Stadt verteilen.«
Er holte einen Stapel Papier hinter seinem Rücken hervor.
»Das schaffen wir doch mit Links.«, rief Johannes überzeugt.
In diesem Moment kamen Pit, Stoffel und Max von der anderen Straßenseite herüber.
»Was wollt ihr mit Links schaffen? Erzählt doch mal.«, fragte Pit.
Sofort ließ Kalle die Zettel hinter seinem Rücken verschwinden. Diesen drei fiesen Jungen wollte er nichts erzählen. Sie stritten sich eh schon oft genug.
»Ich werd es auch ohne eure Hilfe heraus bekommen. Los, Leute, folgt mir.«
Die drei betraten den Laden und sprachen die Verkäuferin an. Nach ein paar Minuten kamen sie wieder heraus und lachten.
»Ihr glaubt doch wohl nicht, dass ihr euch so einfach eine Tüte Bon-Bons verdienen könnt. Wir werden natürlich viel schneller sein. Die Frau sagte uns, wer schneller wieder hier ist, bekommt die Belohnung.«
Das konnte einfach nicht wahr sein. Kalle, Paul und Johannes sahen auf ihre Zettel. Was sollten sie nur tun? Doch dann begriffen sie, was nun geschehen musste. Sie rannten los und stopften ihre Zettel in alle Briefkästen, die sie finden konnten.
Die anderen drei Jungen lachten noch einmal, bevor sie selbst los zogen.
Eine Stunde später stand Kalle mit seinen beiden Freunden keuchend wieder an der Straßenecke. Sie hatten es geschafft. Nun mussten sie nur noch die letzten Meter bis zum Laden gehen.
Doch dann sahen sie am anderen Ende der Straße ihre Gegner. Pit kam mit seinen Freunden gerade von einer Seitenstraße. Die sechs Jungen sahen sich und begannen sofort zu rennen. Sie erreichten die Eingangstür zur gleichen Zeit.
»Das ist ja eine schöne Überraschung.«, sagte die Verkäuferin.
»Dann gibt es heute keinen Verlierer. Ihr dürft euch die Bon-Bons teilen.«
Sie holte eine kleine Tüte unter der Theke hervor und drückte sie Pit in die Hand. Schon während die Jungen den Laden wieder verließen, stritten sie darum, wer nun die Belohnung behalten durfte. Keiner von ihnen wollte teilen.
»In Ordnung. Dann regeln wir das wie richtige Männer.«
Alle nickten. Pit legte die Tüte auf eine kleine Mauer, während sich die anderen hinter hohen Schneehügeln zurück zogen.
»Wer getroffen wird scheidet aus. Der Gewinner bekommt den Preis.«, rief Johannes.
»Wir kämpfen nach den alten Regeln die seit Urzeiten bestehen.«
Und schon ging die Schneeballschlacht los. Die eisigen Kugel rasten hin und her. Nach und nach schieden die Kämpfer aus. Am Ende blieben nur Pit und Kalle übrig. Sie warfen ihre Schneebälle und trafen sich gegenseitig.
»Unentschieden!«, rief Johannes.
»Nicht mit mir.«, brüllte Pit zurück und lief zur Tüte.
»Das lasse ich nicht zu.«, entgegnete Kalle und stürzte sich in die gleiche Richtung.
Doch an der Mauer erlebten sie eine Überraschung. Die Bon-Bons waren verschwunden. Das Suchen und Wühlen im Schnee blieb erfolglos. Die Tüte war weg.
»Das ist nur eure Schuld.«, riefen sich alle sechs Jungen entgegen.
Als sie bemerkten, wie dumm sie gewesen waren und nun völlig gleich dachten, mussten sie zusammen lachen.
»Dann arbeiten wir halt demnächst gleich zusammen. Dann gibt es auch keinen Streit.«, schlug Pit vor.
Kalle willigte ein. Sie besiegelten die Abmachung mit einem Handschlag. Von nun an verteilten sie die Werbezettel zu sechst und teilten alles brüderlich untereinander.
Während die Jungen nach Hause gingen, saßen drei Mädchen hinter einem der Häuser und aßen eine Tüte Bon-Bons.
»Jungen sind viel zu dumm, um sich zu einigen. Haben die noch nie gehört, dass sich der der Dritte freut, wenn sich zwei streiten?«, fragte Anna ihre beiden Freundinnen.
Lena und Hermine nickten zufrieden und steckten sich wieder etwas von ihrer Beute in den Mund.
(c) 2009, Marco Wittler
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