Die Weihnachtsmaus
Frederick, die kleine Maus, kam aus seinem Mauseloch gekrochen. Der tägliche Hunger führte ihn auf direktem Weg zum Kühlschrank, den er mittlerweile schon sehr gut ohne Hilfe öffnen konnte. Den Menschen, die im Haus lebten, bemerkten nicht einmal, dass noch jemand bei ihnen lebte und sich hier und da etwas stibitzte.
Auf seinem Weg in die Küche musste er das große Wohnzimmer durchqueren. Glücklicherweise lagen die Menschen und auch der große Hund mit den scharfen Zähnen in ihren Betten und schliefen tief und fest.
Schon direkt hinter der Tür blieb Frederick stehen und sah sich verwirrt um. Es hatte sich etwas verändert. Der ganze Raum war mit bunten Lichtern geschmückt. In einer Ecke des stand eine riesige Tanne, die mit farbigen Kugeln, silbernen Fäden und elektrischen Kerzen geschmückt war.
»Was ist denn hier los?«, fragte sich Frederick. »So etwas habe ich hier noch nie gesehen.«
Er sah sich vorsichtig um und entdeckte schließlich auf einem Paket die Aufschrift ‚Frohe Weihnachten‘.
»Weihnachten? Kenne ich nicht. Was mag das wohl sein?«
Die kleine Maus versuchte, so viel wie möglich über dieses Weihnachten heraus zu bekommen. Fündig wurde sie irgendwann in einem Kinderbuch, das auf dem Sofa lag.
In dem Buch war von einem dicken Mann in einem roten Mantel die Rede. Es war der Weihnachtsmann, der jedes Jahr die artigen Kinder mit Geschenken belohnte und die bösen Kinder bestrafte.
»Das ist ja toll. Ich frage mich nur, warum der Weihnachtsmann nicht auch die kleinen Mäuse beschenkt. Ich kenne nämlich keine einzige Maus, die nicht artig ist.«
Frederick setzte sich auf das Sofa, knabberte einen Keks und blätterte immer wieder die Seiten des Buches durch, bis ihm eine Idee in den Sinn kam.
»Vielleicht ist der Weihnachtsmann zu sehr mit den Menschenkindern beschäftigt, weil es so viele von ihnen gibt. Er braucht Hilfe von einer Weihnachtsmaus.«
Frederick grinste über das ganze Gesicht. Dann sprang er vom Sofa und lief zurück in sein Mauseloch. Sofort machte er sich an die Arbeit, Geschenke für alle Mäusekinder zu basteln, die er kannte. Jeden einzelnen Tag bis zum Weihnachtsfest arbeitete er daran, sie alle am Weihnachtsabend glücklich zu machen.
Irgendwann war es dann so weit. Auf dem Kalender im Flur der Menschen stand es in großen Buchstaben geschrieben: Weihnachten.
Heute Nacht würde der Weihnachtsmann in dieses Haus kommen – wenn alles aus dem Buch der Wahrheit entsprach.
Frederick packte die vielen Geschenke in einen großen Sack und kleidete sich in einen weiten, roten Mantel und zog sich eine passende Mütze auf den Kopf. Dann wartete er am Eingang seines Mauselochs – und wartete und wartete. Irgendwann wurde er müde, so müde, dass ihm die Augen schwer wurden und er einschlief.
Tief in der Nacht schreckte Frederick dann hoch. Ein Geräusch hatte ihn geweckt. Es war aus dem Wohnzimmer gekommen. Schnell lief er hinüber und spähte in den Raum. Dort tat sich etwas. Irgendwer kam gerade in diesem Moment aus dem Kamin geklettert. Ein Mann richtete sich auf und sah sich um. Da er niemanden sehen konnte, zog er einen großen Sack aus dem Kamin.
»Das ist er.«, flüsterte Frederick begeistert zu sich selbst. »Es gibt ihn wirklich. Das ist der Weihnachtsmann.«
Sofort eilte er in das Wohnzimmer. Vor Freude klatschte er in seine kleinen Pfoten und tanzte wie wild um sich selbst.
»Juhuu! Ich habe dich gefunden, Weihnachtsmann. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue.«
Der Weihnachtsmann erschrak. Sofort sah er sich in alle Richtungen um, konnte aber niemanden entdecken.
»Hm? Spielt mir da jemand einen üblen Streich?«
Er sah sich ein zweites Mal um.
»Los, komm aus deinem Versteck, wo auch immer du bist.«
Frederick kicherte.
»Weihnachtsmann, ich bin hier unten, direkt vor deinen großen Stiefeln.«
Der Weihnachtsmann rückte seine Brille zurecht und blickte nach unten.
»Huch, was ist denn das? Eine kleine Maus in einem Weihnachtsmantel. Bist du eine Weihnachtsmaus?«
Frederick nickte stolz.
»Ich bin so begeistert von deiner Aufgabe, dass ich mir gedacht habe, die vielen artigen Mäusekinder müssten auch beschenkt werden. Und wenn das jemand übernehmen kann, dann die Weihnachtsmaus.«
Frederick machte eine kleine Pause und wurde rot im Gesicht.
»Ich schaffe das allerdings nicht allein. Ich brauche dazu deine Hilfe. Mit meinen kleinen Beinchen komme ich in einer Nacht nicht sehr weit.«
Der Weihnachtsmann grinste. »Kein Problem ist unlösbar. Ich werde dir gerne helfen. Auf meinem Schlitten finden wir bestimmt noch einen Platz für dich und deinen Geschenkesack.«
Dann griff er vorsichtig nach Frederick und seinem Sack und stopfte beide in eine seiner Manteltaschen. Gemeinsam kletterten sich dann den Kamin hinauf und machten sich auf den Weg, die artigen Menschenkinder und die artigen Mäusekinder zu beschenken.
(c) 2017, Marco Wittler
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