Der König und die Bettler
Am Weihnachtsabend saß der König auf seinem Thron und sah über die prächtig geschmückten Tische hinweg, die vor ihm aufgebaut waren.
Wie in jedem Jahr veranstaltete er ein großes, üppiges Bankett, zu dem Ritter, Grafen, Barone und viele andere adlige Menschen aus seinem Königreich geladen waren.
Pausenlos brachten Diener neue Speisen und Getränke herein. Es wurde geschlemmt, getrunken und genossen, dass es eine helle Freude im Saal war. Immer wieder wurden Trinksprüche auf den großzügigen König gerufen und seine Herrlichkeit gelobt.
Das schmeichelte dem König natürlich sehr. Das war der Grund, warum ihm dieses Fest so sehr gefiel.
Irgendwann stand er auf und wanderte an den Tischen vorbei. Er schüttelte hier und da Hände, man küsste seinen goldenen Ring, den er am Finger trug, als sein Blick durch die Fenster nach draußen fiel.
Auf der Straße standen ein paar Menschen in alten, zerrissenen Lumpen, die sich an einem Feuer wärmten. er König blieb stehen und beobachtete sie eine Weile, bis einer seiner Ritter aufstand und sich zu ihm gesellte.
»Elendes Gesindel da draußen.«, sagte der Ritter angewidert. »Verderben einem das ganze Weihnachtsfest. Es sollte verboten werden, vor dem Palast herumzulungern.«
Der Ritter zog sein Schwert und wollte sich auf den Weg nach Draußen machen.
»Ich werde mich höchstpersönlich um diesen schändlichen Anblick kümmern, euer Majestät. Es wird nur wenige Minuten dauern, bis ich das Gesindel vertrieben habe.«
Dann drehte er sich zu den anderen Gästen um.
»Los, Männer! Lasst uns auf die Straße gehen und ein wenig Spaß haben. Es gibt ein paar Bettler zu vertreiben.«
Die Menschen im Saal begangen vergnügt zu johlen. Sie sprangen von ihren Stühlen und stürmten den Türen entgegen, als der König sie aufhielt.
»Es wird niemand von euch auf die Straße gehen. Es ist Weihnachten. Da wird gefeiert, gegessen und getrunken. Lasst die Menschen da draußen am Feuer stehen. Sie schaden euch und eurer Laune nicht.«
Die Enttäuschung war den Adligen anzusehen. Sie setzten sich trotzdem auf ihre Plätze und setzten das Weihnachtsfest fort.
Der König hingegen zog seinen prächtigen Hermelinmantel aus, legte seine Krone auf dem Thron ab und verließ das Fest ohne ein weiteres Wort.
Ein paar seiner Gäste sahen ihm fragend nach, zuckten dann aber mit den Schultern und machten sich wieder über die üppigen Speisen her, bis – ja, bis kein Nachschub mehr eintraf.
Die Diener, die in den letzten Stunden immer wieder neues Essen und neue Getränke an die Tische gebracht hatten, ließen sich nicht mehr blicken. Stattdessen waren vergnügte Stimmen von der Straße zu hören.
Neugierig standen die Gäste von ihren Plätzen auf und sahen aus den Fenstern. Draußen auf der Straße stand der König zwischen den armen Leuten, aß, trank und feierte mit ihnen. Seine Diener brachten einen gefüllten Teller nach dem anderen nach draußen. Zwischendurch dicke Mäntel und Jacken, damit niemand frieren musste.
»Es gibt Menschen, die es viel mehr verdient haben, ein schönes Weihnachtsfest zu haben, als diese dicken, verwöhnten Leute da oben in meinem Thronsaal.«, sagte der König zufrieden zu seinen neuen Gästen.
(c) 2019, Marco Wittler
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