850. Ich jagte den Tagebuch Piraten (Mann und Manni 09)

Ich jagte den Tagebuch Piraten

Es war noch sehr früh am Morgen, als ich wach wurde. Es war ein geschäftiges Geräusch, dass mich aus meinen Träumen von der Jagd nach kleinen, dummen Mäusen riss.
Nun magst du dich vielleicht fragen, welcher Mensch so seltsam ist und kleine, dumme Mäuse jagt. Aber genau darin liegt schon dein erster Denkfehler. Ich bin nämlich kein Mensch. Ich bin ein großer, grauer Kater und werde von meinem Rudel Manni genannt. Ich bin hier der Herr im Haus, dulde aber noch drei Artgenossen und zwei Menschen in meiner großen WG.
Einer dieser Menschen war die Frau. Und eben diese Frau wuselte zu dieser frühen Stunde durch das Wohnzimmer, öffnete jeden Schrank und sah unter jedem Sofakissen nach. Sie schien irgendwas zu suchen.
Ich konnte diesem seltsamen Treiben mit größter Ruhe von meinem Platz auf dem hohen Kratzbaum gelassen zusehen. Noch quälte mich nicht der übliche Hunger. Es war immerhin recht früh, wie ich bereits erwähnte. Nur ein leichtes Gefühl regte sich in meinem Magen und der ungute Gedanke des Verhungerns hielt sich noch in Grenzen.
Nach ein paar Minuten kam der Mann herein und half der Frau bei der Suche. Ob er wohl erfolgreicher sein würde? Ich lehnte mich etwas vor und sah gespannt zu.
Der Mann ist mein Partner. Mann und Manni. Wir sind das Superteam und lösen jeden Fall. Ganz geschwind. Dabei bin natürlich ich der kriminalistische Kopf, der Mann lediglich Assistent und Erfüllungsgehilfe. Zu mehr taugt sein Intellekt leider nicht.
Die Frau hingegen ist die gute Seele in unserer WG. Immerhin sorgt sie mehrmals täglich für frisches Futter, Wasser, Leckerlis und Streicheleinheiten. Schnurr!
Da! Die Frau schien plötzlich gefunden zu haben, wonach sie die ganze Zeit gesucht hatte. Unter dem Sofa holte sie ihr geliebtes Tagebuch hervor, wischte ein paar Katzenhaare fort und fragte sich, wie es nur an diesen ungewöhnlichen Ort gelangt war. Sonst lag es nämlich immer auf dem Tisch davor.
Hm. Ein wirklich interessanter Fall. Noch sonderbarer wurde es, als die das Tagebuch aufschlug und darin seltsame, nicht entzifferbare Zeichen entdeckte, die jemand auf die Seiten gekritzelt hatte.
Ich wurde hellhörig, erhob mich von meinem hohen Schlafplatz, der sich nur wenige Zentimeter unter der Raumdecke befand, streckte meinen Rücken durch und fasste die Szene genauer ins Auge.
Hatten wir es hier vielleicht mit einem Tagebuch Piraten zu tun? Ich witterte einen neuen Fall, denn es zu lösen galt und entschloss mich, an der Sache dran zu bleiben.

Während des Tages bewegte ich mich nicht sehr viel. Gut, das tat ich auch an anderen Tagen nicht, aber heute war es umso wichtiger vom Kratzbaum aus, die Lage im Auge zu behalten. Ich verzichtete sogar auf meinen üblichen Schönheitsschlaf und riskierte damit für den kommenden Tag ein völlig zerknautschtes Gesicht. Ich hegte bereits den Gedanken, mich im Fall der Fälle am Kaffee der Menschen zu bedienen.
Ich behielt also das Tagebuch stundenlang im Auge, mal im Linken, mal im Rechten. Es geschah aber nichts. Weder zeigte sich der Tagebuch Pirat, noch zeigte irgendwer anders Interesse an dem Besitz der Frau. Ich überlegte bereits, ob ich nicht zu viel in diesen Fall hinein interpretiert hatte. Zumindest konnte ich ein wenig Hoffnung auf die Nacht legen.

Der Abend kam, die Sonne ging. Was vom Tage blieb, war meine Wenigkeit hoch oben auf dem Kratzbaum und das Corpus Delicti in Form des Tagebuchs unter mir. Jetzt sollte es sich zeigen, ob hier irgendwer sein Unwesen trieb.
Ich wartete und wartete und wartete. Nach und nach gingen alle Mitglieder meiner WG zu Bett. Der müde Mann verschwand als Erster. Typisch. Hält einfach nichts aus. Erzählt immer nur, wie anstrengend die Arbeit sei. Weichei. Danach waren es meine Artgenossen. Lord Schweinenase streckte sich auf dem Sofa aus, der Hasenfuß namens Bengale verkroch sich ängstlich unter dem Bett im Schlafzimmer, während die Mini-Mietze neben mir auf dem Kratzbaum Platz nahm. Ich war allein.
Es dauerte Stunden, in denen nichts geschah. Doch kurz vor dem Morgengrauen regte sie etwas. Mein dümmlicher Bruder, Lord Schweinenase, der immer etwas Dreck auf dem Riechkolben herum trug, streckte sich, gähnte und stand auf. Er sah sich kurz um, dann griff er zum Tagebuch.
Nein! Er war der Tagebuch Pirat. Ich traute ihm ja viel zu, aber das hätte ich niemals erwartet.
»Was soll das werden?«, fragte ich in ruhigem, aber bestimmten Ton von oben herab.
Er sah mich nur mit seinem üblichen, verklärten Blick an und setzte zu einer Antwort an. Mehr als ein ‚Hä‘ kam aber nicht heraus.
»Was willst du mit dem Tagebuch? Das gehört dir nicht.«
Er sah zum Tagebuch, dass unter seiner Pfote ruhte. Dann versuchte er mir zu erklären, war vor ihm läge, müsse zwangsläufig auch ihm gehören. Das Futter läge ja auch immer vor seiner Nase.
Er öffnete das Tagebuch, blätterte zu einer leeren Seite und patschte seine schmutzige Pfote hinein.
Ha! Damit war er überführt und hatte einen Beweis seiner Schuld gleich mitgeliefert. Den Abdruck auf dem Papier sollte wohl auch die Frau erkennen und künftig ihr Tagebuch woanders aufbewahren.
Ich stand von meinem Platz auf, trottete ins Schlafzimmer und weckte die Menschen. Es war an der Zeit, mein wohl verdientes Lob abzuholen und Lord Schweinenase der Gerechtigkeit zu übergeben.

(c) 2020, Marco Wittler

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