895. Unter meinem Bett

Unter meinem Bett

Meine Angst sei völlig unbegründet, hatten sie mir immer wieder gesagt. Ich solle mir nicht unnötig in die Hosen machen und auf dem Teppich bleiben.
Ich blieb immer auf dem Teppich. Normal. Ich lebte auf ihm, rollte mich darauf ein und schlief auf ihm – wenn ich nicht gerade über die Dinge nachdachte, die sich über mir abspielten.
Ich hatte schon sehr lange das Gefühl, dass mit meinem Bett etwas nicht stimmte. Es knarzte, es knackte, es ließ mich rund um die Uhr denken, dass sich da etwas befand, was nicht da sein sollte.
Konnte es ein Monster sein, dass sich in mein Zimmer geschlichen und sich über mein Bett her gemacht hatte? Lag es irgendwo versteckt und lauerte nur darauf, dass ich mich zeigte?
Immer wieder quälten mich diese Gedanken, ließen mich nicht einschlafen. Und wenn ich einmal in den Schlaf gefunden hatte, verfolgte mich das Monster, das ich nie gesehen hatte, in meinen Träumen.
Ich bangte Tag um Tag, Nacht um Nacht, rund um die Uhr um mein Leben. Ich wollte noch nicht sterben. Ich wollte aber auch nicht als Mahlzeit enden.
Immer wieder erinnerte ich mich an die Schauergeschichten, die man mir erzählt hatte, als ich klein war. Darin war es um schaurige Gestalten gegangen, die unschuldigen Wesen wie mir nachstellten, die einfingen und fraßen.
Ich hatte noch ganz genau im Kopf, wie ich sie mir immer vorgestellt hatte. Sie waren dürre, nackte Monster, mit nur wenigen Haaren auf dem Kopf aber langen spitzen Zähnen in ihrem Maul, von denen der Geifer in dicken Tropfen herab fiel.
Schon bei diesen Gedanken jagte ein Schauer dicht unter meinem Fell über meine Haut, ließ mich frieren und zittern.
Du musst dich deinen Ängsten stellen, hatte man mir immer empfohlen, sonst würde ich sie nie loswerden können.
Auch dieser Gedanke jagte mir immer wieder durch den Kopf. Eines Tages würde ich meinen Teppich verlassen, unter dem Bett hervor kriechen und nachschauen, was sich auf der Matratze befand.
Wieder hörte ich diese Geräusche. Ich hatte das Gefühl, dass jemand über mir lag, sich hin und her wälzte.
Verdammt! Ich hatte es satt, mich mein gesamtes Leben lang zu fürchten.
Ich nahm allen Mut zusammen, den ich in mir finden konnte, griff an die Bettkanten und zog mich hinaus ins Freie. Langsam hob ich den Kopf, sah auf das Bett und entdeckte eine dicke, kuschelige Decke, unter der sich etwas bewegte.
Das Monster existierte tatsächlich. Es war real, lag direkt vor meiner Nase.
Schon wollte ich mich wieder verkriechen, die Hände vor meine Augen pressen und dafür beten, all das nicht entdeckt zu haben, als sich die Decke wenige Zentimeter anhob und mich zwei ängstliche Augen ansahen.
»Bist du das Monster, dass unter meinem Bett lebt?«, fragte mich das nackte Gesicht.
Ich? Ein Monster? Auf keinen Fall.
»Ich lebe unter dem Bett, aber ich bin kein Monster. Bist du denn eins?«
Das Gesicht schüttelte den Kopf und kam etwas näher. Ihm folgte mit einer unsicheren Bewegung eine kleine Hand, deren Zeigefinger meiner Nase langsam näher kam und sie schließlich sanft drückte.
»Boop!«, machte das sonderbare Wesen, das mir plötzlich ganz sympathisch vorkam und kein bisschen gefährlich.
Ich hob nun auch meine Hand, wiederholte die Geste und drückte meinen dicken, haarigen Finger ebenfalls auf die Nase des anderen.
»Boop!«
Wir lachten uns an und kamen beide aus unseren Verstecken.
»Und ich habe seit einer Ewigkeit Angst vor dir gehabt.«, sagten wir gemeinsam und mussten sofort wieder lachen.

(c) 2020, Marco Wittler

Image by Marta Simon from Pixabay

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