911. Der Hexenmeister

Der Hexenmeister

Tief im Wald lebte in einem kleinen, von Efeu überwuchertem Häuschen, ein alter Hexer, der den lieben, langen Tag am Feuer stand und magische Tränke braute.
Wenn er einmal sein Haus verließ, um Zutaten zu besorgen, war er immer in einen alten, dunkel Mantel gekleidet und hatte einen großen, spitzen Hut mit noch größerer Krempe auf dem Kopf.
Seine Kleidung hatte definitiv schon bessere Tage gesehen, denn überall war sie zerrissen, zerschlissen und hatte kleine bis große Löcher. Doch das schien den Hexer nicht zu stören, denn er trug sie tagein, tagaus. Außerdem bekam er so selten Besuch, dass sich Fremde auch nicht daran störten.
Der einzige, der dem Hexer rund um die Uhr Gesellschaft leistete, war sein fast schwarzer Kater, dessen einziger Makel eine weiße Pfote am linken Vorderbein war.
Der Kater beteuerte natürlich immer, dass seine Pfote nicht von Geburt an so weiß gewesen sei, es sich stattdessen um einen Unfall in der Kräuterküche des Hexers handelte. Ob dies der Wahrheit entsprach, wusste aber niemand.
Der Kater des Hexers litt zudem unter großer Langeweile. Er hatte nämlich nichts zu tun. Während andere Katzen regelmäßig Mäuse fingen, fand der fast schwarze Kater nie welche. Zeitweise zweifelte er sogar die Existenz der kleinen Nager an. Er kannte sie nur vom Hören Sagen.
»Wenn ich doch bloß mal eine Maus nur sehen würde. Ich würde sie auch gar nicht fangen, sie nur fasziniert anschauen. Ich würde gerne wissen, ob es sie wirklich gibt.«
Doch jedes Mal wurde er vom Hexer gerügt und auf seine eigentliche Aufgabe hingewiesen.
»Du bist schon beschäftigt genug. Du musst auf meiner Schulter sitzen, wie das halt ein richtiger Kater eines Hexers so macht. Du hast keine Zeit, Mäuse zu jagen.«
Und dann seufzte der Kater jedes Mal ganz leise und langweilte sich weiter.
Eines Tages, der Hexer hatte sich gerade zum Duschen ins Bad begeben, da hörte der Kater eben genau aus diesem Raum ein Schaben, ein Kratzen und ein Piepsen, Geräusche, die eigentlich nur von Mäusen stammen konnten.
Aufgeregt lief er hin und her, wägte ab, was er unternehmen sollte.
Auf der einen Seite wollte er unbedingt, die Mäuse sehen, sie einfangen und sich ein Lob des Hexers bekommen. Auf der anderen Seite war es ihm aber strickt verboten, das Bad zu betreten, wenn der alte Meister sich darin befand.
»Egal. Ich muss es einfach tun. Ich kann nicht anders.«, sagte er sich, schob die Tür mit seiner weißen Pfote leise auf und erschrak.
Der Hexer legte gerade Hut und Mantel ab. Darunter kam aber kein alter Mann zum Vorschein, sondern unzählige Mäuse, die sich verkleidet hatten. Den Hexer, so schien es, hatte es wohl nie gegeben.
Nun wurde dem Kater so einiges klar. Jetzt wusste er, warum er nie Mäuse sah und ihm die Jagd nach ihnen verboten war.
»Jetzt ist aber Schluss hier!«, rief er, stürmte ins Bad und jagte die Nager fort.
»Dann bin ich jetzt wohl der neue Hexenmeister.«, sagte er, grinste, setzte sich den dunklen Hut auf und verschwand fast komplett darunter.

(c) 2020, Marco Wittler


Bild von Ronny Overhate auf Pixabay

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