1586. Putztag

Putztag

Die Sonne war erst vor wenigen Minuten hinter dem Horizont aufgegangen und schob sich nun langsam immer weiter in den roten Himmel hinauf, als der Wecker klingelte.
Ein kleines Näschen zuckte unruhig hin und her und verschwand unter einer dicken Decke. Doch das nervige Geräusch wollte einfach nicht verschwinden.
»Ist ja gut. Ich stehe schon auf.«
Die Decke wurde zurückgeschlagen. Die kleine Maus wischte den Wecker vom Nachttisch. Er plumpste in einen mit Wasser gefüllten Eimer und verstummte nach einem kurzen, erstickendem Gurgeln.
Die Maus reckte und streckte sich, gähnte so laut, dass das Fenster zu zittern und die Gardine davor zu flattern begann. Gesehen hatte sie es natürlich noch nicht, weil sie beim Gähnen immer die Augen geschlossen hatte, stellte es sich aber so vor.
»Der frühe Sandwurm fängt den Vogel.«, sagte sie zu sich selbst. Irgendwer musste ihr ja da Aufstehen schmackhaft machen.
Die Maus stand auf, schlurfte in die kleine Küche und kochte sich einen heißen Kaffee, der sie putzmunter machen sollte. »Jetzt bloß nicht schon ans Putzen denken.«, ermahnte sie sich. »Das muss ich eh heute noch machen.«
Sie versuchte, ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Sie versuchte, sich an ihre erste Begegnung mit einem Sandwurm zu erinnern, der sie damals mit seiner Riesenhaftigkeit überrascht hatte. Dagegen hatte nun wirklich kein einziger Vogel eine Chance.
»Wenn die Menschen nur wüssten, wie anders meine Welt hier oben ist.«
Hier oben. Das klang nicht nur weit weg, das war es auch. Vor einigen Jahren hatte die Weltraumbehörde eine Forschungssonde mit einer Rakete durch das All bis auf den Mars geschickt. Dass sich kurz vorher eine Maus an Bord verirrt hatte, war aber niemandem aufgefallen. Nun lebte sie weit von der Erde entfernt, auf einem unbewohnten Planeten, den sie sich mit einem Roboter auf Rädern teilte.
Ein Brummton riss sie aus den Gedanken. Der Kaffee war fertig. Zumindest stellte sich die Maus einen Kaffee so vor. Aus den wenigen Pflanzen, die gut vor den Augen der Forschungssonde versteckt waren, schmeckten zumindest ebenso bitter.
Draußen rumpelte es. »Ich komme gleich.«
Die Maus nahm einen großen Schluck direkt aus der Kanne und verließ ihr Haus, dass sich in einem Loch unter einem großen Felsen befand.
Draußen wartete bereits die Sonde, die auf dem Roboter befestigt war. So konnte sie auf der Planetenoberfläche hin und her fahren und immer wieder neue Entdeckungen machen. Nur eines hatten die Menschen bei ihren Konstruktionsplänen völlig vergessen.
»Los, komm her zu mir. Ich kümmere mich um deine Kameras.« Die Maus zog ein Taschentuch aus ihrer Latzhose hervor und wischte kräftig über die Linsen. »Da hätten die Menschen auch dran denken können. Hier oben ist es so staubig, dass du ohne Scheibenwischer völlig aufgeschmissen bist. Wie gut, dass ich mitgeflogen bin.«
Während sie sich noch um die verschmutzten Glasscheiben kümmerte, ließ sie ihren Blick schweifen. Ihr kam der Gedanke, den sie jeden Morgen hatte und der sie daran erinnerte, dass endlich etwas getan werden musste.
»Hier ist wohl schon seit einer ganzen Ewigkeit nicht mehr geputzt und Staub gewischt worden. Und da sich niemand darum kümmert bleibt es wohl an mir hängen.«
Die Maus verabschiedete den Sondenroboter, schickte ihn fort und holte sich Besen, Eimer, Schrubber und Putzwasser aus ihrer Kammer. »Heute ist Putztag.« Ich glaube, ich werde von einer Seite des Horizonts zur anderen sauber machen und dann Morgen weiter dahinter.« Sie machte sich an die Arbeit.
Stunde um Stunde wuselte sie um ihren Wohnfelsen herum. Mit ihrem Besen schichtete sie in regelmäßigen Abständen hohe Staubberge auf und wünschte sich, dass irgendwo ein Teppich liegen würde, unter dem sie den ganzen Dreck hätte verstecken können. »Es wird Zeit, dass man mir eine Mülltonne vor mein Haus stellt. Ich weiß ja sonst gar nicht, wohin mit dem vielen Staub. Vielleicht baue ich daraus eine Burg und stelle mir vor, ich wäre am Strand.«
Nun wurde es Zeit, den Boden zu wischen. Sie kümmerte sich um jeden Felsbrocken einzeln, machte ihn sauber und polierte ihn blank, bis alles zwischen den Horizonten im Sonnenlicht blitzte und funkelte.
»Fertig!« Stolz ließ sie den Putzlappen in den Eimer fallen. »Meinen Feierabend habe ich mir redlich verdient. Ich will nur hoffen, dass sich die Menschen nicht ihre Augen verletzten, wenn sie mit einem Teleskop hier heraufschauen, weil es so sauber ist.«
In der Ferne war plötzlich ein leises Brummen zu hören, das schnell lauter wurde. Hinter einem nahen Hügel tauchte der die Sonde auf. Sie war sehr viel schneller auf ihren kleinen Rädern unterwegs als üblich. Mit hohem Tempo raste sie an der Maus vorbei.
»Hey, sei mal etwas vorsichtiger. Du wirbelst unnötig Staub auf. Ich bin doch gerade erst fertig geworden.«
Statt anzuhalten, verkroch sich die Sonde unter dem Wohnfelsen der Maus.
»Hä? Was ist den los? So ängstliche kenne ich dich gar nicht. Können Roboter überhaupt Angst haben?«
Eine Antwort gab es nicht. Vielleicht konnte sie auch nicht gehört werden, denn ein lautes Donnergrollen erfüllte die weite Ebene und übertönte alles andere.
»Oh, oh!« Die Maus sah sich um. Hinter dem Hügel, über den die Sonde gefahren kam, tauchte nun eine riesige, rote Staubwolke auf. Ein Sturm zog auf. Riesige Blitze schossen in allen Richtungen daraus hervor.
»Ganz toll. So ein verdammter Mist!« Die Maus trat wütend gegen ihren Putzeimer, der in hohem Bogen davonflog. »Jetzt weiß ich wenigstens, warum es hier so dreckig war. Wenn hier so heftige Stürme über das Land fegen, lohnt sich die ganze Arbeit nicht.«
Sie verzog sich nun ebenfalls unter ihren Felsen, um der Sonde Gesellschaft zu leisten. Gemeinsam würden sie nur halb so viel Angst vor den Gewalten der Marsnatur haben. Nur wenige Augenblicke wurde es dunkel, wie in einer sternenlosen Nacht. Die Ebene verschwand unter einen dicken Staubschicht.

(c) 2024, Marco Wittler

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