206. Kinder im Bach

Kinder im Bach

Es klingelte laut. Also packte Herr Jansen seine Sachen zusammen, wünschte den Kindern einen schönen Nachmittag und verließ die Klasse. Eigentlich hätte er jetzt nach Hause fahren können, aber es wartete noch eine unangenehme Aufgabe auf ihn.
Er ging kurz im Lehrerzimmer vorbei, verabschiedete sich von seinen Kollegen und brachte seine Tasche in seinen Wagen.
Sein Weg führte ihn nun einen kleinen Waldweg entlang. Ein paar Minuten stand er vor einem Bach, dessen Ufer mit Betonwänden eingemauert waren.
Ein schneller Blick nach unten brachte ihm die traurige Gewissheit.
»Was machst du denn da unten?«
Ein kleiner Junge sah verzweifelt nach oben. Er saß in dem hüfthohen Wasser fest, denn an den steilen Wänden konnte er nicht hinauf klettern.
»Mich haben ein paar gemeine Jungs hier hinein geschubst. Ich wollte ihnen meinen Taschengeld nicht geben. Da haben sie es  sich einfach genommen und mich dann hier gelassen.«
Herr Jansen schüttelte verzweifelt den Kopf, kniete sich hin und zog den Jungen wieder hoch.
Schon zum fünften Mal in diesem Monat rettete er jemanden aus dieser Falle. Diese Überfälle kamen immer häufiger vor. Doch bisher waren die Übeltäter noch nicht dabei erwischt worden.
Er nahm den Jungen mit sich zurück zur Schule, gab ihm ein Handtuch aus seinem Kofferraum und benachrichtigte die Eltern per Handy, dass sie ihren nassen Sohn abholen konnten.

Ein paar Tage später war es wieder so weit. Ein weiteres Kind saß im Bach und wartete auf Rettung. Und wieder war von den Tätern keine Spur. Auch wagte es niemand, zu verraten, wer so gemein war. Alle Jungen und Mädchen hatten Angst vor Rache. Bis eines Tages Kira den gefährlichen Weg entlang ging.
Sie sah sich ständig um, ihr Blick ging nach links, nach rechts und immer wieder auch über die Schulter nach hinten. Doch alles blieb still. Nach ein paar Minuten kam sie am Bach an. Das Wasser plätscherte zwischen den Betonwänden dahin. Mehr war nicht zu hören.
Doch plötzlich knackte ein Ast und drei große Jungen kamen aus dem Wald gestürmt. Es waren Alexander und seine fiesen Freunde.
»Los, rück dein Taschengeld raus, sonst landest du im Bach.«
Kira wurde unsicher. Sie spürte ein paar wenige Münzen in ihrer Hosentasche, wollte diese aber nicht abgeben.
»Ich habe kein Geld. Ich kann euch nichts geben.«, sagte sie ängstlich.
Alexander lief rot an. Sein Gesicht sah fast wie eine Tomate aus.
»Dann werfen wir dich ebenfalls in den Bach.«
In diesem Moment kam Kira eine Idee.
»Ich habe doch etwas Geld dabei. Lasst ihr mich wirklich in Ruhe, wenn ich es euch gebe?«
Alexander nickte, während seine Freunde lachten. Kira griff langsam mit einer Hand in die andere Hosentasche. Dort befand sich ihr alter Geldbeutel. Darin befanden sich nur ein paar bunte Steine, die sie auf dem Spielplatz gesammelt hatte.
Sie zog den Beutel hervor und wedelte den Jungen damit vor der Nase herum.
»Los, gib her.«, befahl Alexander und machte einen Sprung nach vorn.
Allerdings bekam er den Geldbeutel nicht zu fassen, denn Kira warf ihn im hohen Bogen in den Bach und verschwand mit schnellen Schritten zwischen den Bäumen.
»Verdammt. Das Geld ist weg.«
Die drei Jungen rannten zum betonierten Ufer. Unter sich sahen sie den Beutel langsam versinken.
»So dick wie der ist, muss eine ganze Menge Geld  drin sein. Das können wir uns auf keinen Fall entgehen lassen.«
Alexander schubste seine Freunde ins Wasser und sprang anschließend selbst hinein.
»Los, sucht schon.«
Immer wieder zwang er seine Freunde, bis auf den Grund zu tauchen. Sie fanden allerdings nichts. Der Beutel blieb verschwunden. Nach einer ganzen Weile bemerkten sie, dass sie nun selbst in der Falle saßen. Die Mauern waren viel zu hoch, um zum Weg hinauf zu klettern.
»Müssen wir jetzt den ganzen Bach entlang laufen, bis wie hier wieder raus kommen?«, fragte einer der Jungs.
Doch genau in diesem Moment erblickten sie über sich ein Gesicht. Es war Kira, die nun über das ganze Gesicht grinste. Kurz darauf tauchte neben ihr Herr Jansen auf.
»Schau mal einer an. Da haben wir ja unsere Übeltäter. Das wurde auch Zeit, dass ich euch erwische. Dann werde ich mir schon mal Gedanken machen, welche Strafe ich euch auferlege.«
Er half den drei Jungen aus dem Bach und geleitete sie zur Schule. Von nun an überfielen sie nie wieder jemanden.

(c) 2009, Marco Wittler

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