042. Was für ein Hundeleben

Was für ein Hundeleben

Du kannst dir gar nicht vorstellen, was ich erlebt habe. Ich kann es ja selbst nicht mal so wirklich glauben. Dabei sind alle Erinnerungen noch ganz frisch in meinem Kopf.
Es war in der letzten Woche. Da lag ich zusammen mit meinen acht Brüdern und Schwestern bei unserer Mama im Körbchen. Wir hatten uns alle ganz dicht aneinander gekuschelt und schliefen um die Wette. Nur zwischendurch ist mal einer von uns wach geworden, um sich dann an Muttis Milchbar satt zu trinken.
Aber das sollte bald ein Ende haben.
Es begann, als plötzlich unser Züchter kam und meine Schwester Wuff auf den Arm nahm. Er kraulte sie, so wie er es immer macht, wenn er einen von uns hoch nimmt. Doch statt sie wieder zurück zu legen, verschwand er mit ihr. Und er kam auch nicht so schnell zurück.
Am nächsten Tag, Wuff war noch immer verschwunden, war der Züchter wieder da. Er schnappte sich meine Brüder Biff und Baff. Auch die beiden brachte er durch die große Tür hinaus. Wohin haben wir nicht erfahren. Aber langsam bekamen wir anderen Angst.
Immer mehr von meinen Geschwistern verschwanden auf diese Weise, bis nur noch ich bei Mama lag.
Bis dahin hatte ich immer mehr Angst bekommen. Aber trotzdem hatte ich noch Hoffnung, da ich als Letzter übrig geblieben war, dass mir dieses ungewisse Schicksal erspart bleiben würde. Und trotzdem habe ich mich jedes Mal, wenn der Züchter zur Fütterung herein kam, unter Muttis Bauch versteckt. Sicher ist sicher.
Ein paar Tage später, der Züchter war wieder in unsere kleine Welt gekommen, öffnete sich die Tür hinter ihm ein zweites Mal und andere Menschen kamen herein. Bisher hatte ich gedacht, dass der Züchter der einzige Mensch wäre, den es überhaupt gibt. Aber da hatte ich mich wohl getäuscht.
»Ob das wohl andere Züchter sind?«, ging es mir durch den Kopf.
Es waren insgesamt drei, die sich nun um Muttis Körbchen stellten und auf uns herab sahen. Ich bekam es mit der Angst zu tun und versteckte mich wieder. Allerdings hatte ich nicht die Rechnung mit dem Züchter gemacht, der nun Mutti hoch hob und einfach nach mir griff.
Er hielt mich hoch und gab mich zu den drei Fremden, die mich nur zu gern in die Hände nahmen und sofort am ganzen Körper streichelten. Das war wirklich ein schönes Gefühl.
Schließlich landete ich in den Armen eines Mädchens. Als sie mich sah, bekam sie große, leuchtende Augen. Sie schien richtig glücklich zu sein, dass ich in ihrer Nähe war. Aber auch ich fühlte mich bei ihr sehr wohl. Die großen Menschen redeten mit dem Züchter und gaben ihm ein paar Papierstücke. Dann schüttelten sie sich alle die Hände und die Fremden verließen den Raum.
Das Mädchen blieb erst stehen und hielt mich meiner Mutti entgegen, die mich mit ihren warmen Augen ansah und »Leb wohl, mein kleines Baby. Ich wünsche dir ein wunderbares und erfülltes Leben. Ich werde dich nie vergessen und dich immer lieben.« zu mir sagte.
Erst begriff ich gar nicht, was sie mir damit sagen wollte. Doch das änderte sich schlagartig, als das Mädchen unsere kleine Welt verlies und mich einfach mit sich nahm.
Ich bekam riesige Angst. Ich wollte hier nicht weg. Ich wusste ja nicht, was mich nun erwarten würde. Ich strampelte mit meinen kleinen Beinchen so fest, wie ich konnte. Aber es nützte gar nichts. Es sollte der letzte Tag sein, an dem ich bei meiner Mutti war.
Hinter unserer kleinen Welt lag noch eine andere, viel größere Welt. Das kleine Mädchen trug mich durch einen großen Raum, den wir aber sehr schnell wieder verließen. Sie stieg mit den anderen Menschen in einen kleinen grauen Kasten und nahm mich einfach mit. Sie setzte mich neben sich und sagte, dass ich nun still sitzen sollte, damit mir nichts passieren würde.
Ich konnte mir nicht vorstellen, was nun so gefährlich werden könnte, doch da setzte sich der graue Kasten in Bewegung und ich fiel um. Da aber alles um mich herum ganz weich war, tat ich mir nicht weh.
Es dauerte eine ganze Weile, bis das Ruckeln und Zuckeln wieder aufhörte. Ich hatte schon Angst bekommen, dass mir schlechte würde. Aber ich hatte noch einmal Glück. Im letzten Augenblick blieb der Kasten stehen und wir alle stiegen aus.
Ich sah mich schnell um und entdeckte eine blaue Decke über mir, über die viele weiße Schäfchen hinweg zogen. Das sah wirklich schön aus.
Doch dann betraten wir eine neue kleine Welt. Es war die Welt dieser Menschen. Hier schienen sie zu leben. Aber was ich hier zu suchen hatte, konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Neugierig war ich ja schon immer gewesen, aber dass ich dafür so weit weg sein müsste von meiner Mutti, das hatte ich nie gewollt.
Ich bekam ganz viel Heimweh und fing an zu heulen.
Das Mädchen setzte mich vorsichtig auf den Boden. Ich drehte mich schnell um und sah die Tür, die nach draussen führte. Ich lief los, so schnell ich konnte, aber einer der großen Menschen schloss sie schnell. Nun war ich gefangen.
Ich legte mich still in eine Ecke und war so traurig wie nie zuvor.
Am Abend, es wurde langsam dunkel, kam das kleine Mädchen zu mir, streichelte mich eine Weile und trug mich dann in ein kleines Körbchen. Es war riesig groß. Naja, es war vielleicht so groß, wie das von Mutti, aber nun lag ich allein darin auf einem richtig weichen Kissen. Sollte das nun der Platz sein, an dem ich für den Rest meines Lebens schlafen sollte?
Ich dachte etwas nach, knautschte mir das dicke Kissen zurecht, damit es richtig gemütlich wurde und lies mich in die Federn plumpsen. Ich hatte ja nun eh keine Wahl und keine Möglichkeit wieder nach Hause zu kommen. Es dauerte auch nicht lange, bis ich eingeschlafen war.
Es dauerte allerdings nicht lange, bis ich wieder wach war. Das Heimweh und die Sehnsucht nach meiner Mutti waren so groß, dass ich einfach nicht mehr weiter schlafen konnte. Ich weinte dicke Tränen und muss wohl so laut gewesen sein, dass das kleine Mädchen bald auch wach war, zu mir kam und mich mit meinem Körbchen zusammen in ihr Zimmer trug.
Sie stellte mich neben ihr Bett und sagte, dass ich hier nicht so allein wäre. Dann müsste ich auch nicht mehr so traurig sein.
Ich fühlte mich gleich etwas wohler. Aber noch schöner wäre es gewesen, wenn ich in diesem riesigen Bett hätte schlafen dürfen. Das sah so unheimlich kuschelig aus. Aber das durfte ich dann doch nicht.
Und so schlief ich dann doch ganz ruhig in meinem Körbchen bis zum nächsten Morgen.

Nun ist schon einige Zeit vergangen und ich habe mich endlich in meine neue Welt eingelebt. Ich vermisse meine Mutti noch immer, aber meine neue Familie ist mir auch so richtig ans Herz gewachsen. Auch wenn ich zu Anfang viel Angst hatte und eigentlich gar nicht hier sein wollte, möchte ich nun nie wieder von hier weg.
Jeden Tag geht das kleine Mädchen mit mir spazieren und füttert mich, wenn ich Hunger habe. Am Nachmittag spielen wir stundenlang im Garten. Mittlerweile hat sie sogar ein paar kleine Tricks von mir gelernt. Jedes Mal, wenn ich ihr ein Stöckchen bringe, wirft sie es gleich wieder weg. Es hat lange gedauert, ihr dies beizubringen. Aber dafür macht es auch umso mehr Spaß.
Und wenn ich mal nur auf meinen Hinterbeinen stehe, bekomme ich gleich etwas Leckeres zu Fressen. Also das kleine Mädchen habe ich wirklich gut erzogen.
Ich würde nur gern wissen, ob es meinen Geschwistern genauso ergangen ist wie mir. Aber das werde ich wohl leider nie erfahren.

(c) 2007, Marco Wittler

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