Das Sandkastenmonster
Hallo liebes Tagebuch.
Ich bin es, der Tommi. Hoffentlich erinnerst du dich noch an mich.
Du kannst dir gar nicht vorstellen, was gestern und heute los war. Und genau deswegen werde ich es dir jetzt schreiben.
Meine große Schwester Nina war ganz schön gemein zu mir. Ich war mit Papa zusammen in der Gartenhütte, um mein Sandkastenspielzeug nach dem Winter heraus zu holen. Eine halbe Stunde hat es gedauert, bis es zum Vorschein kam. Es lag ganz hinten in einem kleinen Pappkarton. Also mussten wir vorher den Rasenmäher, die Wäschespinne, die Gartenmöbel und unsere Fahrräder heraus holen.
Naja, eigentlich hat Papa das alles allein gemacht. Aber ich habe ihm die ganze Zeit gesagt, wie das am Besten geht. Sonst hätte er bestimmt eine Ewigkeit dafür gebraucht.
Jedenfalls hat er mir dann irgendwann meinen Karton gegeben. Und genau in diesem Moment kam Nina aus dem Haus. In der Hand hielt sie einen Brief für ihre Freundin Steffi. Also war sie auf dem Weg zum Briefkasten. Doch statt direkt zur Straße zu gehen, kam sie zu uns rüber.
»Was hast du denn da in der Kiste?«, fragte sie mich.
Eigentlich wollte ich ihr gar nicht antworten. Ich dachte mir, dass sie sofort sagen würde, ich wäre noch ein Baby, wenn ich noch zum Spielplatz gehen würde. Aber dann tat ich es doch.
»Da ist mein Sandkastenspielzeug drin.«
Da bekam Nina große Augen, nahm mich am Arm und zog mich von der Hüttentür weg.
»Du willst wirklich zum Spielplatz gehen?«
»Ja,«, antwortete ich, »auch wenn du mich jetzt als Baby beschimpfst. Das ist mir egal. Ich gehe trotzdem hin, weil es mir Spaß macht.«
Sie zog mich näher an sich heran und flüsterte mir ins Ohr.
»Hast du das denn noch nicht gehört?«
Ich wusste nicht, was sie damit sagen wollte, also antwortete ich mit einem Nein.
»In der letzten Woche sind auf dem Spielplatz drei Kinder verschwunden. Die Erwachsenen reden nicht darüber. Selbst in der Zeitung hat es nicht gestanden, weil niemand weiß, wie das geschehen konnte. Bei mir in der Schule geht aber das Gerücht um, dass sich während des Winters im Sandkasten ein Monster versteckt hat, das unschuldige Kinder entführt, um sie dann, wie in einem Zoo, in kleine Käfige zu stecken.«
Mir wurde ganz komisch im Magen. Davon hatte ich wirklich noch nichts gehört.
»Also überleg es dir noch einmal, ob du wirklich zum Spielplatz gehst.«
Nina klopfte mir auf die Schulter und ging zum Briefkasten.
Ich warf einen Blick auf mein Spielzeug und lachte etwas ängstlich. Ich war mir sicher, dass es Monster nicht gibt.
»Das sind doch alles nur Schauergeschichten.« sagte ich zu mir.
»Oder etwa nicht?«
Mit weichen Knien machte ich mich auf den Weg. An der Straße ging ich über den Zebrastreifen und dann quer über die große Fußballwiese. Dann war ich auch schon angekommen.
Auf einer Bank saß mein Freund Tim. Er wartete schon auf mich und wollte als erstes eine große Sandburg bauen. Aber ich traute mich nicht, auch nur einen Fuß auf den Spielplatz zu setzen.
»Was ist den mit dir los? Ich dachte, wir wollten zusammen spielen.«
Also erzählte ich ihm alles, was ich von Nina erfahren hatte.
Sofort packte Tim seine Spielsachen ein und kam ängstlich zu mir.
»Nur gut, dass du nicht zu spät gekommen bist, sonst wäre ich jetzt vielleicht nicht mehr da.«
Er wischte sich mit der Hand über die Stirn.
»Puh. Was machen wir denn jetzt? Ich muss doch die erste Sandburg des Jahres bauen, sonst macht es jemand anders vor mir. Das geht doch nicht.«
Aber es viel uns nichts ein. Daher gingen wir nach Hause und verabredeten uns für heute noch einmal.
Heute Morgen standen Tim und ich wieder vor dem Spielplatz. Jeder von uns war mit seinem Sandkastenspielzeug bewaffnet. Angst hatten wir immer noch.
»Es sind gar keine anderen Kinder da.«, flüsterte Tim.
Uns war es richtig mulmig und wir hatten beide weiche Knie. Doch plötzlich ging ich vorwärts. Ich setzte einen Fuß vor den anderen, obwohl ich es gar nicht wollte. Schließlich stand ich zitternd vor dem Sandkasten.
Ich überlegte ein paar Minuten. Dann warf ich nach und nach meine Spielsachen in den Sand. Tim kam ebenfalls heran und half mit. Aber es geschah nichts. Das Monster tauchte nicht auf.
»Vielleicht ist es ja schon in den Sandkasten einer anderen Stadt umgezogen, weil keine Kinder mehr gekommen sind.«, sagte Tim.
Ich stimmte ihm zu. Dann gingen wir ganz vorsichtig in den Sandkasten hinein, jederzeit bereit, wieder heraus zu springen. Aber alles blieb ruhig. Also sah ich Tim zu, wie er die erste Sandburg des Jahres baute.
Währenddessen kamen auch noch andere Kinder zum Spielplatz und machten sich im Sandkasten und auf der Rutsche breit. Erst als es langsam dunkel und kühl wurde, gingen Tim und ich nach Hause.
Als ich in den Hausflur kam, hörte ich, dass Nina mit Steffi telefonierte. Sie erzählte ihr davon, wie lustig es war, mir eine Schauergeschichte zu erzählen. Als ich das hörte, wurde ich richtig sauer und überlegte mir, wie ich mich am Besten rächen konnte.
Doch dann war es erst einmal Zeit für das Abendessen, wonach es schon Zeit zum Schlafen wurde.
Aber ich ging nicht in mein Zimmer, sondern versteckte mich unter Ninas Bett. Kurz darauf kam sie herein und kroch unter ihre Decke.
Ich wartete noch eine Weile und begann dann mit meinen Fingernägeln über das Holz des Bettes zu kratzen.
Nina schreckte sofort hoch und fragte, ob sich jemand im Zimmer befinden würde. Ich antwortete natürlich nicht. Stattdessen schaltete ich meinen Kassettenrekorder ein. Schon ertönte daraus das laute Brüllen eines Dinosauriers. Ich hatte extra ein Urzeit Hörspiel aufgelegt.
Nina begann zu schreien und lief aus dem Zimmer. Ich wartete noch kurz und schlich dann in mein eigenes Bett.
Jetzt war Nina auch auf ein falsches Monster herein gefallen. Das war nur gerecht.
Während ich mich zudeckte, sah ich draußen etwas. Ich stand wieder auf, ging ans Fenster und blickte zum Spielplatz hinüber. Da sah ich gerade noch, wie ein großes, zotteliges Etwas im Sandkasten verschwand.
Gibt es Monster etwa doch oder habe ich das nur geträumt?
Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall werde ich demnächst auf dem Spielplatz wieder vorsichtiger sein.
Das war es auch schon, liebes Tagebuch. Und bitte verrate es niemandem, denn sonst bekomme ich für meinen Streich noch Ärger mit Nina.
Dein Tommi.
(c) 2008), Marco Wittler
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