109. Ein Leben in der Badewanne (Ninas Briefe 19)

Ein Leben in der Badewanne

Liebe Steffi.

Heute wollte ich einmal etwas ganz Neues ausprobieren. Du kennst mich gut genug. Neugierig bin ich ja schon immer gewesen.
Papa hat heute endlich die Arbeiten am neuen Badezimmer beendet. Es sieht jetzt richtig schick aus. Da wäre ich so gern sofort drin eingezogen. Aber Mama hat nur gelacht, während sie den letzten Dreck von den neuen Fliesen weg wischte.
Mir war es allerdings wesentlich ernster, als sie dachte.
»Darf ich denn wenigstens als erste in die Badewanne?«, bettelte ich sie an.
»Bitte, bitte.«
Mama rollte nur mit den Augen, gab aber schnell nach. So konnte ich wenigstens meinem kleinen Bruder zuvor kommen.
Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich gefreut habe.
Kaum war Mama fertig, schlüpfte ich in das Bad und schloss hinter mir ab.
»Mach aber nicht zu lange. Wir anderen wollen auch noch in die Badewanne.«, hörte ich Mama von draußen sagen, was ich allerdings nur zu gern ignorierte. Ich hatte mir einen Plan zurecht gelegt, gegen den die ganze Familie niemals ankommen würde.
Ich lies das Wasser in die Wanne, schüttete etwas Badezusatz hinein und zog mich langsam aus, während ich den Blubberblasen zusah, die wild auf der Oberfläche tanzten.
Ich stieg hinein. Vorsichtig prüfte ich mit den Zehen die Temperatur. Es war ein wenig heiß, aber es würde bald kühler werden. Ich legte mich hin, schloss die Augen und begann mich zu entspannen.
Mir gefiel das richtig gut. Als die Wanne voll war, drehte ich das Wasser ab und hatte von nun an meine Ruhe.
Aber wie du es dir vorstellen kannst, hielt das leider nicht lange an. Der erste, der mich nervte, war Tommi. Mein kleiner Bruder klopfte erst einmal, dann immer öfter und lauter an die Tür, weil ich nicht antwortete.
»Ich muss mal.«, rief er.
»Dann geh auf die Gästetoilette.«, gab ich kurz angebunden zurück.
»Ich liege gerade in der Badewanne und entspanne. Lass mich bloß in Ruhe.«
Ich überlegte, ob ich mir Ohrstöpsel besorgen sollte, doch dann hätte ich aufstehen müssen. Das war keine gute Idee. Ich schloss wieder die Augen und dachte an gar nichts.
Nach ein paar Minuten klopfte es wieder. Es war erneut Tommi.
»Ich bin fertig auf der Gästetoilette. Du kannst jetzt drin bleiben.«
Ich wurde langsam wütend.
»Hau endlich ab, du Zwerg. Geh in dein Zimmer und spiel irgendwas.«
Ich war der Meinung, dass das reichen würde. Endlich meine wohl verdiente Ruhe. Aber, ob du es glaubst oder nicht, damit ging es erst richtig los. Papa war der nächste, der mir das Bad streitig machen wollte.
»Nina, bitte beeil dich. Ich habe jetzt meine Werkzeuge alle im Keller verstaut und würde mich gerne einmal abduschen.«
Das durfte doch einfach nicht wahr sein. Wie konnte er es wagen, mich zu stören. Doch dann kam mir eine Idee.
»Ich bleibe für immer in diesem Bad. Ich fühle mich hier richtig wohl und bin nun hier eingezogen. Meinetwegen könnt ihr aus meinem Zimmer ein neues Bad machen. Ich brauche es nicht mehr. Die Badewanne reicht mir völlig aus.«
Von draußen hörte ich nur ein leises Grummeln. Papa war sauer, schien aber nicht zu wissen, was er nun unternehmen sollte. Schließlich ging er die Treppe nach unten.
Ruhe!
Doch dann kamen erneut Schritte in meine Nähe. Mama sollte mich wohl besänftigen, um mich hier heraus zu bekommen.
»Nina, mein Schatz. Warum willst du denn im Bad bleiben. Da ist es doch so unglaublich langweilig. Mehr als Baden und Duschen kann man doch gar nicht machen. In ein paar Minuten fängt doch deine Lieblingssendung im Fernsehen an.«
Mama war ziemlich schlau, das musste man ihr lassen. Tommi hätte spätestens jetzt die Tür geöffnet und wäre ins Wohnzimmer gestürmt. Aber ich war noch ein wenig klüger.
»Ich muss nicht raus kommen. Ich habe hier alles, was ich brauche.«
Ich nahm eine Fernbedienung in die Hand und schaltete meinen eigenen Fernseher an, den ich mir auf den Badschrank gestellt hatte. Warum im Wohnzimmer schauen, wenn es auch in der Wanne geht? Schöner geht es doch gar nicht.
Ich konnte mir sehr gut Mamas verdutztes Gesicht vorstellen. Ich konnte mir deswegen ein Grinsen nicht mehr verkneifen. So langsam machte die Besetzung des Bades richtig Spaß.
»Deine Haut wird doch ganz schrumplig. Willst du denn schon wie eine alte Frau aussehen?«, war ihr nächster Versuch.
»Das ist mir egal. Ich bin im Bad eingeschlossen. Mich sieht eh niemand. Da muss meine Haut nicht so glatt sein.«
Mama zog wieder ab und lies mich alleine.
Eine ganze Stunde war ich nun schon in der Wanne. Noch immer fühlte ich mich pudelwohl.
»Nina, hast du keinen Hunger? Das Mittagessen steht auf dem Tisch. Komm raus und dann in die Küche.«
Papa wagte sich wieder vor. Glück hatte er mit seiner Taktik allerdings keine.
»Ich bin gut versorgt. Esst ihr ruhig ohne mich.«
Ich nahm meine Keksdose und futterte sie leer.
Mittlerweile war das Wasser abgekühlt. Ich begann zu frösteln. Also entschied ich mich dafür, etwas vom kalten Wasser abzulassen und wärmeres nachzufüllen.
Ich drehte die Hähne auf und hielt meinen Fuß darunter. Das Prickeln auf der Haut mochte ich schon immer besonders gern.
Doch dann traf es mich wie ein Schlag.
Alles, was da in die Wanne floss, war eiskalt. Vor Schreck sprang ich sofort aus dem Wasser und wickelte mich in ein dickes Handtuch.
»Hilfe, was ist denn da passiert? Das kann doch gar nicht möglich sein.«
Draußen vor der Tür hörte ich lachende Stimmen Es waren Tommi, Mama und Papa.
»Wir haben dir das warme Wasser abgedreht. Auch wenn du im Bad bleibst, in die Wanne steigst du nicht mehr.«, rief mein Bruder.
Wie gemein. Mit so einem fiesen Plan hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte wohl doch verloren. Ich öffnete die Tür und lies die anderen rein. Offensichtlich war es doch nicht so einfach ein Badezimmer über längere Zeit zu verteidigen.
Und nun sitze ich hier in meinem Zimmer und schreibe an diesem Brief. Aber es werden nur noch ein paar Zeilen, denn mir fällt da gerade ein neuer Plan ein, den ich für heute Nachmittag vorbereiten werde. Ich will als nächstes die Küche besetzen. Da gibt es schließlich immer was zu essen.

Bis bald,
deine Nina.

P.S.: Versuch doch auch mal einen Raum zu blockieren. Mir hat es jedenfalls jede Menge Spaß gemacht.

(c) 2008, Marco Wittler

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