Der Vampir kann nicht schlafen
Die Nacht neigte sich ihrem Ende entgegen. Der Mond und die Sterne waren bereits verschwunden. Dafür kamen die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont und tauchten das Land in ein warmes, oranges Licht.
In der alten Burg, die hoch oben auf einem Hügel stand, verschwanden nach und nach die dunklen Geschöpfe der Nacht in ihren Gemächern und Verstecken. Ob Monster, Vampire, Geister oder Werwölfe, sie alles hatten an diesem Ort Schutz und Heimat gefunden. Hier verbrachten sie den Tag, um auf die nächste Nacht zu warten.
Tief im Keller befand sich der dunkelste Ort. Hierher hatte sich noch nie natürliches Licht verirrt. Es war das perfekte Gemach für den Vampir.
Er hängte gerade seinen langen Umhang an einen Garderobenständer, wischte sich einen letzten Blutstropfen vom Mundwinkel und gähnte laut, bevor er in seinen Sarg stieg und den Deckel schloss.
Normalerweise hatte er keine Probleme, schnell einzuschlafen. Das war schon immer sein größtes Talent gewesen. Doch an diesem Tag hielt ihn ein nerviges Geräusch wach. Was es war, konnte er nicht genau sagen, aber es störte ihn ohne Pause.
»Verdammt!« Er regte sich auf und stieß den Deckel zur Seite, dass er polternd auf dem Boden landete. »Wer wagt es, mich um meine Tagesruhe zu bringen? Meine Rache wird fürchterlich sein.«
Der Vampir stieg aus, versuchte sich in der Dunkelheit zu orientieren. Der Ursprung des Lärms kam von oben.
Er seufzte laut, trat wütend gegen die Tür seines Gemachs. Er hasste es, seinen sicheren Platz im Keller nach Sonnenaufgang verlassen zu müssen. Das bedeutete, dass er jeden einzelnen Schritt genau planen musste. Schon eine kurze Begegnung mit einem Sonnenstrahl würde unweigerlich sein Ende bedeuten.
Er nahm Umwege, schlich sich durch Geheimgänge und nahm einen Umweg nach dem anderen. Immer wieder blieb er stehen, lauschte und orientierte sich neu. Irgendwann stand er vor der Tür, die zum Dachboden führte. Der Ursprung des störenden Lärms konnte nur dahinter sein. Er stieß die Tür auf, sprang in den Raum und sah in einem der Betten einen alten Knochenmann liegen, der sich wild hin und her wälzte und dabei seine Kette zum Rasseln brachte.
Der Vampir trat an das Bett, schüttelte die Knochen und weckte den Störenfried.
»Was soll das hier? Warum machst du so einen Krach?«
Der Knochenmann schreckte hoch und sah sich verwirrt um.
»Oh. Tut mir leid. Ich hatte einen Alptraum, in dem mich eine Meute hungriger Hunde verfolgt hat.«
(c) 2021, Marco Wittler
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