Ein Stein vom Mond
Es war ein wunderschöner Abend. Obwohl die Sonne bereits hinter dem Horizont verschwunden war und es langsam dunkel wurde, war es noch immer richtig warm. Trotzdem zündete Papa im Garten ein paar Holzscheite in der großen Feuerschale an, um nicht irgendwann doch noch zu frieren. Er hatte nämlich das Problem, dass er schnell kalte Füße bekam, wovon er aber noch nie jemandem erzählt hatte. Stattdessen lächelte er Mama an. »Damit es dir nachher nicht kalt wird, Schatz.«
Er setze sich zu ihr auf eine kleine Bank, während die Kinder etwas abseits auf einer Picknickdecke lagen und ihre Nasen in in Büchern stecken hatten.
Ein wenig später tauchten die ersten Sterne am dunklen Firmament auf und der Vollmond zeigte sein rundes, freundliches Gesicht.
»Das ist so romantisch.«, schwärmte Mama. »Es schaut fast so aus, als könne man ihn mit den Fingern vom Himmel pflücken. Wenn das doch nur funktionieren würde.«die
Papa dachte darüber einen Moment lang nach. Die Idee war gar nicht so schlecht. Vielleicht war das sogar irgendwie möglich. Konnte es etwas Romantischeres geben, als ein Steinchen vom Mond als Geschenk?
Papa stand auf. »Dein Wunsch ist mir Befehl. Ich werde dir den Mond schenken.«
Mama riss die Augen auf und schüttelte den Kopf. »Du bist doch verrückt geworden. Das geht doch gar nicht. Du hast keine Rakete, mit der du zum Mond fliegen kannst. Setz dich wieder zu mir, du verrückter Kerl.«
Doch Papa hatte es sich in den Kopf gesetzt und wollte sich davon auch nicht mehr abbringen lassen. Er drückte Mama einen Kuss auf die Wange. »Ich bin bald wieder da. Dauert bestimmt nicht lang.«
Er ging zum Baumhaus, dass er vor ein paar Jahren gebaut hatte und packte sich die Strickleiter ein, die aus ein paar Seilen und Brettern bestand. Dann setze er sich ins Auto und fuhr in die Stadt.
Nach wenigen Minuten parkte Papa vor einem riesigen Wolkenkratzer, in dem sich sein Büro befand. Glücklicherweise besaß er einen Schlüssel für die Eingangstür. So konnte er auch um diese späte Stunde hinein und mit dem Fahrstuhl bis aufs Dach fahren.
Der Zeitpunkt passte gut. Der Mond war mittlerweile hoch genug und zog gerade über den Wolkenkratzer hinweg. Papa band schnell das eine Ende der Strickleiter an einem Eisenrohr fest und warf das andere dem Mond entgegen, wo es an einem Felsen hängen blieb.
Mit einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch, ging Papa hinüber.Vorsichtig setzte er einen Fuß in den staubigen Mondboden und zog den anderen nach.
»Ist ja irre.« Er konnte es selbst kaum glauben, dass er nun wirklich zu den ganz wenigen Menschen gehörte, die den Mond betreten hatten. Fasziniert sah er sich um, blickte ehrfürchtig auf die riesigen Krater, die durch Meteoriteneinschläge entstanden waren. Er brauchte einen Moment, bis er sich davon lösen konnte. »Ich darf nicht vergessen, warum ich eigentlich hier bin.« Er bückte sich, steckte ein kleines Mondsteinchen ein und wollte sich schon auf de Rückweg machen, als eine laute, grimmige Stimme hinter ihm ertönte.
»Wer wagt es, den Mond zu zerstören und mich zu bestehlen?«
Papa drehte sich zitternd um und erblickte einen alten Mann mit langem Bart und einer noch viel längeren Mütze auf dem Kopf. Langsam kam er auf Papa zu. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Niemand bestiehlt den Mann im Mond. Hast du mich verstanden? Es hat schon gereicht, dass diese verrückten Raketenmänner hier vor einiger Zeit gelandet sind und meine Steine kistenweise von hier fort gebracht haben.«
Papa schluckte schwer. Die Astronauten, die vor ewig langer Zeit auf dem Mond gelandet waren, hatte er immer bewundert und beneidet. Anscheinend hatten sie beim Mann im Mond keinen guten Eindruck hinterlassen. Konnte er es nun besser machen?
»Es tut mir wirklich leid. Ich habe es nicht besser gewusst. Ich möchte euch wirklich nicht bestehlen.« Er griff in die Hosentasche, holte das Steinchen hervor und legte es langsam wieder auf den Boden. »Ich wollte meiner Frau eigentlich nur ein romantisches Geschenk machen, weil sie den Mond so gern in der Nacht betrachtet.«
Der Mann im Mond blickte auf den Stein hinab und sah dann Papa an. »Warum hast du das nicht gleich gesagt? Glaubst du etwa, ich hätte ein Herz aus Stein?« Er lachte laut und hielt sich dabei den Bauch. »Verstehst du den Witz? Herz aus Stein und du hast einen Stein geklaut. Ach, naja, ist nicht so wichtig. So toll war der Witz nun auch wieder nicht.«
Der Mann im Mond räusperte sich, wurde wieder ernst und bückte sich. Er hob nun seinerseits einen kleinen Stein auf und drückte diesen Papa in die Hand. »Den möchte ich dir als ein Geschenk an deine Frau überlassen. Ich bin mir sicher, dass er noch viel besser zu ihr passen wird. Er hat nämlich eine ganz besondere Form.«
Papa sah in seine Hand und bekam große Augen. Das Steinchen war wie ein Herz geformt. Außerdem befand sich auf seiner glatten Oberfläche ein winzig kleiner Krater.
»Vielen Dank. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
»Du musst nichts weiter sagen. Stattdessen solltest du dich auf den Rückweg machen. Deine Strickleiter wird nicht ewig halten. Mein Mond ist bereits ein Stück weiter gewandert. In ein oder zwei Minuten werden die Seile reißen.«
Papa erschrak und nickte. Er lief schnell zurück und schaffte es im letzten Augenblick zurück auf das Dach des Wolkenkratzers. Von dort aus sah er ein letztes Mal zum Himmel hinauf und winkte dem Mann im Mond.
Kurze Zeit später parkte er sein Auto in der Einfahrt und brachte den Mondstein Mama, die ihn völlig ungläubig entgegen nahm.
»Du warst wirklich dort oben und hast ihn für mich geholt?«
Papa nickte.
»Du bist der beste und liebevollste Mann, den sich eine Frau nur wünschen kann.«
Sie gab Papa einen Kuss und drückte ihn ganz fest an sich.
(c) 2022, Marco Wittler
Die Idee zur Geschichte entstammt einem Bild der lieben Kokopelli Design von Twitter. Schau mal bei ihr vorbei, denn in ihrem Profil finden sich noch viele andere tolle Bilder.
https://twitter.com/KokopelliDesign/status/1481356836582436867?s=20
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