Wie man eine Geschichte schreibt
Wie an jedem Nachmittag saß Papa am Schreibtisch und tippte eine neue Gute Nacht Geschichte in seinen Computer. Diese wollte er dann am Abend seiner Tochter Emmi vorlesen.
»Worüber schreibst du denn gerade?«, wollte Emmi wissen, die gerade aus ihrem Kinderzimmer geflitzt kam. Sie setzte sich Papa gegenüber, stützte ihren Kopf auf ihre Hände und sah ihn neugierig an.
»Das kann ich dir doch jetzt noch nicht verraten, sonst habe ich heute Abend nichts mehr vorzulesen.« Papa klappte das Display des Laptops etwas herunter und machte ein verschwörerisches Gesicht. »Außerdem wurde die Prinzessin noch nicht aus der Gefangenschaft des Drachen befreit.«
Papa riss die Augen auf. »Ups!« Er grinste und zwinkerte. »Natürlich weißt du ganz genau, dass ich nicht über eine Prinzessin und einen Drachen schreibe.«
Emmi beugte sich weiter vor, versuchte wieder einen Blick auf die Geschichte zu erhaschen. »Wie schreibt man eigentlich eine Geschichte? Ist das sehr schwer? Ich würde das auch gern mal probieren.«
Papa überlegte kurz. »Ich finde es überhaupt nicht schwer, weil ich so viele Ideen im Kopf habe. Aber ich weiß auch, dass das nicht jeder so kann. Versuch es doch einfach mal. Schnapp dir einen Zettel und einen Stift, überleg dir eine Handlung und schreib sie auf.«
Emmi nickte und verzog sich in ihr Zimmer. Zuerst saß sie am Schreibtisch, dann auf dem Bett. Zwischendurch spazierte sie hin und her und hatte ihre Stirn in Falten gelegt. So sehr sie sich auch anstrengte, es wollte ihr einfach nichts einfallen. Das war natürlich auch Papa aufgefallen, der zwischendurch einen Blick ins Zimmer gewagt hatte.
»Wenn es heute nicht klappt, dann vielleicht Morgen. Man kann und darf es nicht erzwingen. Ich habe da aber noch etwas für dich.« Er griff an seine hintere Hosentasche und zog einen Füller hervor. »Das ist ein Zauberstift. Mit dem habe ich meine allererste Geschichte geschrieben. Solange man ihn benutzt, gehen einem niemals die Ideen aus. Probier ihn einfach Morgen mal aus.« Er legte den Füller auf den Schreibtisch und verschwand.
Der Tag verging. Es folgten Abendessen, Papas neue Gute Nacht Geschichte und dann war es Zeit zu schlafen. Emmi schlief sehr schnell ein. Kaum war sie im Land der Träume angekommen, öffnete sich die Kinderzimmertür und Papa kam herein. Er setzte sich an den Schreibtisch, nahm den Zettel und den Füller und schrieb eine neue Geschichte auf.
Am nächsten Morgen kam Emmi aufgeregt in die Küche gelaufen. In ihrer Hand hielt sie den Füller und den Zettel in den Händen.
»Das wirst du mir bestimmt nicht glauben.«, begann sie aufgeregt zu berichten. »Mir ist Gestern nichts mehr eingefallen, aber trotzdem steht jetzt hier eine Geschichte geschrieben. Der Zauberstift hat von ganz allein eine aufgeschrieben.«
Papa nickte wissend. »Ich habe es dir doch gesagt. Er hat gespürt, dass in deinem Kopf eine ganz besondere Geschichte steckt. Er hat geholfen, dass sie dort raus kommt. Vielleicht hat er dir geholfen, dass du demnächst selbst schreiben kannst.«
Emmi nickte ebenfalls. »Das glaube ich auch. Mir fallen jetzt schon ganz viele Ideen ein. Dann kann ich dir auch mal etwas vor dem Schlafen vorlesen.«
(c) 2022, Marco Wittler
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