1481. Opa ist ein Held

Opa ist ein Held

»Opa? Kannst du mir noch einmal die Geschichte erzählen, wie du ein Held geworden bist?«
Opa Ziggy lächelte und nahm seinen Enkel auf den Schoß. »Das habe ich dir doch bestimmt schon einhundert Mal erzählt. Du kannst es mir mittlerweile wohl besser erzählen als ich selbst.«
Der kleine Sam nickte eifrig. »Ja, das kann ich.« Er tauschte mit Opa den Platz, setzte sich in den Sessel, während sich Opa auf dem Teppich niederließ. Dann begann der Junge zu erzählen.

Es war einmal vor langer Zeit im wilden Westen. Eine leichte Brise wirbelte den Staub der ungepflasterten Straße immer wieder auf. Vertrocknete Büsche trieb er von der einen zur anderen Seite. Zwischen den wenigen Häusern der kleinen Stadt gingen die Bewohner ihren Tagesgeschäften nach. Niemand achtete darauf, was sich in der Ferne tat. Nur ein kleiner Junge entdeckte die dunklen Silhouetten am Horizont.
»Mama, schau. Was ist das?«
Seine Mutter zog ihn an der Hand hinter sich her, ohne seiner Frage Beachtung zu schenken. »Wir haben es eilig. Der Doktor schließt gleich. Kommt jetzt.«
Der Junge riss sich los und blieb stehen. »Aber schau doch. Dort ist was. Es kommt auf uns zu.«
Die Mutter hielt inne, folgte mit ihrem Blick dem Zeigefinger ihres Sohnes. »Du meine Güte. Sind das etwa …?« Ihr stockte der Atem. Sie musste schwer schlucken, während sie die Reiter durchzählte, die rasch näher kamen. Es waren zwölf.
»Alle weg hier!« Sie nahm den Jungen auf den Arm und eilte nach Hause. »Das dreckige Dutzend kommt in die Stadt.«
Die Bewohner auf der Straße erschraken. Nun hielt es niemanden mehr hier. Es galt, sich schnellstens in Sicherheit zu bringen, denn das dreckige Dutzend waren die schlimmsten und gefährlichsten Verbrecher westlich des Mississippi.
Innerhalb weniger Sekunden war niemand mehr zu sehen. Jeder hatte sich in sein Haus zurückgezogen, Türen und Fenster verriegelt. Jetzt blieb nur die große Hoffnung, dass sich diese gefährlichen Männer mit einem Überfall auf die Bank zufrieden geben würden.
Sie kamen in die Stadt, stiegen aus den Sätteln und klopften sich den Staub von ihren langen Mänteln.
»Ihr könnt euch nicht vor uns verstecken. Wir werden von euch schon bekommen, was wir haben wollen.« Der Anführer legte die Hand auf seine Waffe, die an seinem Gürtel hing. »Wir sind das dreckige Dutzend. Uns hat bis jetzt noch niemand aufhalten können.«
Plötzlich öffnete sich eine Tür. Der Sheriff trat auf die Straße und baute sich vor den Verbrechern auf. »Dann wird es heute wohl eine Premiere geben. Hier ist jedenfalls für euch Feierabend. Ihr gehört ins Kittchen hinter schwedische Gardinen. Legt die Waffen ab und ergebt bei, bevor es unschön für euch endet.«
Das dreckige Dutzend begann zu lachen. Was sollte denn dieser Typ mit dem Stern auf der Brust allein gegen sie ausrichten?
»Pass mal auf, du lebensmüder Ordnungshüter. Du gehst jetzt schön artig in dein Büro zurück und lässt die richtigen Männer ihren Job erledigen. Dann wird es auch keine Verletzten geben. Du wirst uns nicht aufhalten können. Du bist nur einer, wir sind aber zwölf.«
Der Sheriff blieb wo er war. Er wollte seine Stadt nicht im Stich lassen. Er wusste ganz genau, dass die Bewohner ihn durch die Fenster beobachteten und auf seinen Schutz zählten.
»Ich muss euch gar nicht aufhalten oder erledigen. Das wird jemand anders machen.« Er blickte zum Saloon und hoffte, das man ihn hören würde. »Wir haben vor kurzem einen Einwanderer bei uns begrüßen dürfen, der ein Meister mit dem Lasso ist. Cowboy Ziggy Spider wird euch das fürchten lehren.«
Als Ziggy seinen Namen hörte, hätte er sich beinahe an der Brause verschluckt, die er gerade trank. »Ist der völlig verrückt geworden? Ich arbeite mit Rindern aber noch nie einen Verbrecher gefangen genommen. Das kann ich nicht.«
Der Wirt sah Ziggy ernst an. »Komm schon, Junge. Du bist der beste Cowboy, den der wilde Westen je gesehen hat. Wenn jemand das dreckige Dutzend aufhalten kann, dann du.«
Ziggy seufzte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er wollte doch nur seinen Traum leben und nicht noch zum Helden werden.
»Mach schon. Geh raus und zeig es denen.«
Ziggy seufzte. Er nickte und setzte seinen Hut auf. Aus der Nummer würde er nicht mehr herauskommen. Er verließ den Saloon und gesellte sich an die Seite des Sheriffs.
»Wer bist du denn?« Der Anführer der Verbrecher lachte. Mit deinen dünnen Armen und Beinchen kannst du nur Ziggy Spargel sein. Du willst uns aufhalten?«
Ziggy spuckte auf den Boden und hielt dem Blick der Verbrecher grimmig stand. »Mein Name ist Ziggy Spider. Ich mag es gar nicht, wenn man sich über mich lustig macht.«
Völlig unerwartet ließ er seinen dicken Körper auf den Boden fallen. Seine acht Spinnenarme griffen blitzschnell zu seinen Lassos, mit denen er das dreckige Dutzend entwaffnete und fesselte. Das Ganze dauerte keine zwei Sekunden, da lagen die zwölf Männer wehrlos am Boden.
»Er fängt Rinder schneller als sein Schatten.« Der Sheriff klopfte Ziggy anerkennend auf die Schulter.
Ziggy nickte dem Sheriff nur kurz zu. »Das war aber eine Ausnahme. Ich werde mich nicht zum Hilfssheriff machen lassen. Mein Traum ist es, Cowboy zu sein, Rinder zu züchten und nicht die Verbrecherjagd.«

(c) 2023, Marco Wittler

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