1572. Das Geheimnis des Ritters

Das Geheimnis des Ritters

Ritter Fridolin von Kieselstein stand auf dem Wehrgang der alten Burg und hielt Wache. Eigentlich wäre ihm diese Aufgabe wegen seines Adelstitels erspart geblieben, aber wegen seiner Tollpatschigkeit schied er für wichtigere Dinge aus. Dafür entging ihm auf seinem Posten nichts. Sein Auge entdeckte jede Bewegung, egal ob am Tag oder in der Nacht. Sein Ohr vernahm jedes noch so kleine Rascheln in den umliegenden Bäumen und Büschen.
»Hey Fridolin!«, rief plötzlich eine Stimme. Jemand stand direkt vor dem vergitterten Eingang und riss den Ritter aus seinen Gedanken.
Fridolin schreckte hoch. Wie hatte sich nur jemand unbemerkt anschleichen können?
»Lässt du mich jetzt rein? Ich habe eine große Wagenladung feinster Töpfe aus meiner Schmiede mitgebracht. Die Köche des Königs warten bereits auf meine Lieferung.«
Fridolin gab ein Zeichen an die Wachmannschaft, die sich sofort daran machte, das Gitter mit einer schweren Kette nach oben zu ziehen und dem Schmied den Weg frei zu machen. Unter lautem Scheppern setzte sich dessen Pferdegespann in Bewegung.
»Ich sollte langsam Feierabend machen. Ich kann mich kaum noch konzentrieren.« Fridolin hob seinen linken Arm, schob den eisernen Ärmel seiner Rüstung nach oben und blickte auf die Sonnenuhr, der am Handgelenk trug. »Oh! Verdammt! Es ist schon acht Uhr. Ich mache bereits Überstunden, ohne es bemerkt zu haben. Jetzt weiß ich auch, warum der Schmied so nah an die Burg heran kommen konnte.«
Fridolin verließ seinen Platz und stieg die steinerne Treppe hinab. Mit jedem Schritt flehte seine Rüstung laut quietschend nach einem Kännchen Öl für ihre Gelenke.
»Ich glaube, ich werde noch einen Spaziergang an der frischen Luft machen. Im Burghof ist es immer so stickig. Da wird mir viel zu selten durchgelüftet.«
Die Wachsoldaten, an denen er vorbei marschierte, kratzten sich verwirrt am Kopf. Der Hof war nicht überdacht. Was also erzählte dieser Ritter da nur?
Fridolin überquerte den Wassergraben, sah sich ein letztes Mal um und bog in den nahen Wald ab. Schon wähnte er sich unbeobachtet. Doch dann wurde das Getrappel von Pferdehufen immer lauter.
»Edler Ritter! Edler Ritter!«, waren Rufe zu hören. Es war Roswitha, sein treues Pferd. »Ich werde euch natürlich begleiten, wie es von einem Ross erwartet wird. Ich werde immer an eurer Seite sein.«
»Ähm … ja … also …« Ritter Fridolin schluckte und blickte sich unsicher um. »Ich wollte eigentlich nur einen Spaziergang machen und werde bald zurückkehren. Ich brauche dich heute nicht. Wer reitet kann sich nicht die Füße vertreten, sage ich immer. Also kannst du direkt zur Burg zurückkehren und es dir in deinem Stall gemütlich machen.«
Doch das Pferd blieb an seiner Seite. »Nein, nein. Das kann ich nicht machen. Ich weiß doch, wie schwer die Rüstung eines Ritters ist und wie schwer man sich darin bewegen kann. Ich werde euch tragen, egal wohin es geht.«
Fridolin seufzte. Er würde sein Ross heute nicht mehr loswerden. Das passte ihm gar nicht. Plötzlich machte er einen Sprung zur Seite, durchquerte einen schmalen Pfad zwischen zwei Büschen und lief davon. Nur wenige Schritte weiter stolperte er über eine Baumwurzel und stürzte zu Boden.
»Seht ihr? Ich habe es euch doch gesagt. Die schwere Rüstung macht es euch das Gehen zu schwer.« Das Pferd stand bereits wieder neben ihm und half ihm zurück auf die Füße.
»Na gut. Dann begleite mich eben. Aber egal, was heute Abend noch passiert, du wirst niemandem etwas davon erzählen. Hast du mich verstanden?«
Roswitha nickte begeistert und ließ Fridolin aufsitzen. Sie ritten los. Es ging immer tiefer in den Wald. Die Wege wurden immer schmaler, die Bäume und Büsche rückten näher heran.
»Wir sind gleich da.«, sagte Fridolin irgendwann. »Du kannst hier auf mich warten. Den restlichen Weg gehe ich allein.«
Der Ritter stieg ab und band sein Pferd am einem Baumstumpf an. Er sah sich sicher um, achtete noch einmal genau darauf, dass es auch wirklich zurückblieb und ging auf einen Höhleneingang zu. Er verschwand in der Dunkelheit.
»Jetzt bin ich aber neugierig, was dort passiert. Er macht nicht umsonst so ein Geheimnis. Normalerweise erzählt er viel über seine Vorhaben.«
Roswitha schnappte mit den Zähnen nach dem Seil und zog es vom Baumstumpf ab. Dann schlich sie, so gut es ihr mit beschlagenen Hufen auf weichem Waldboden möglich war. Sie ging nur wenige Meter in die Höhle, wartete ab, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und riss diese dann vor Verwunderung auf. Dort saß Fridolin von Kieselstein an einem steinernen Tisch und spielte Karten mit dem Drachen, vor dem sich alle in der Umgebung fürchteten.
Das Pferd grinste und ging tiefer ins Innere. »Also das finde ich richtig unverschämt. Ich muss draußen warten, während ihr euch mit einem Spielchen vergnügt.« Roswitha ließ sich am Tisch nieder. »Die nächste Runde spiele ich mit.«

(c) 2024, Marco Wittler

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