609. Weihnachtspullis von Oma

Weihnachtspullis von Oma

Es klingelte an der Tür. Draußen stand der Paketbote und hielt einen großen Pappkarton in Händen. Mama öffnete und nahm es verwirrt entgegen. Sie hatte nichts bestellt und wusste auch nicht, dass jemand etwas schicken wollte.
Sie brachte das Paket ins Wohnzimmer und stellte es auf den großen Esstisch, während der Rest der Familie neugierig herbei kam.
„Was ist denn da drin?“, wollte Mia wissen.
„Nun warte doch erstmal ab, bis sie es geöffnet hat. Außerdem wollte ich das auch grad fragen.“, mischte sich sofort ihre ältere Schwester Lina ein, die nicht weniger neugierig war.
Nur Papa war die Ruhe selbst. Er setzte sich mit einer großen Tasse Kaffee an den Tisch und trank einen Schluck.
„Ganz ruhig, Mädels. Ihr erfahrt schon noch früh genug, was da drin steckt. Was steht eigentlich auf dem Absender?“
Mama drehte und wendete das Paket, konnte aber nicht feststellen, wer es geschickt hatte. Dann nahm sie ein Messer und zerschnitt vorsichtig das Klebeband.
„Ich schaue einfach rein. Mal schauen, ob wir dann schlauer sind.“
Ganz oben auf dem Inhalt lag ein Brief. Es musste ein Weihnachtsbrief sein, denn auf dem Umschlag waren Christbäume, Engel und Schneeflocken abgebildet. Auf seiner Vorderseite stand etwas in schnörkeliger Schönschrift geschrieben.

Für meine geliebte Familie
von Oma

„Ein Weihnachtspaket von Oma? Aber wir fahren doch an Weihnachten immer zu ihr und bekommen unsere Geschenke dort.“, wunderte sich Mia.
Mama öffnete den Umschlag und holte den Brief heraus. Sie las den anderen vor, was darin geschrieben stand.

Liebe Petra, lieber Manfred, meine lieben Enkelinnen Lina und Mia.
Jedes Jahr freue ich mich darauf, dass ihr die lange Fahrt durch das ganze Land auf euch nehmt und mich zum Weihnachtsfest besuchen kommt. Das hätte mir auch dieses Jahr gefallen. Aber daraus wird leider nichts.
Meine liebe Freundin Annegret hat bei einem Preisauschreiben eine Kreuzfahrt mit einem großen Schiff gewonnen. Und mich nimmt sie mit. Zwei Tage vor Weihnachten geht es los und erst Anfang des neuen Jahres sind wir wieder zurück. Zwei Wochen Meer, Swimming Pools, leckeres Essen und ganz viele Städte zu bestaunen. Ihr versteht bestimmt, dass ich dieses Angebot nicht ablehnen konnte.
Aber weil ich euch eure Weihnachtsgeschenke nicht vorenthalten möchte, habe ich sie euch jetzt schon geschickt. Ratet mal, was ihr bekommt? Es hat etwas mit meinem neuen Hobby zu tun. Ich stricke nämlich seit ein paar Monaten leidenschaftlich gern.

Liebe Grüße von Oma

„Oma strickt?“, wunderte sich Mia. „Ich dachte immer, das könnte sie nicht leiden.“
„War auch so.“, erinnerte sich Mama.
„Ach, und hier steht noch, dass sie sich ein paar Fotos mit den Geschenken wünscht. Die sollen wir ihr dann mit dem Handy schicken.“
Lina, die schon etwas Unangenehmes befürchtete, griff in das Paket und holte etwas Wolliges daraus hervor.
„Ein Strickpullover? Weiß Oma denn nicht, dass ich sowas gar nicht anziehe? Ist doch voll uncool.“
Es waren vier Pullover an der Zahl. Jeder Einzelne hatte ein Namensschild aus Papier am Kragen. Papa bekam einen schlichten Pulli in schwarz, Mama einen in weiß. Mia faltete ihren auseinander und entdeckte darauf einen Weihnachtsschlitten mit Rentieren.
„Der ist ja super.“, freute sie sich. „Ein richtiger Weihnachtspullover. Darf ich den gleich anziehen?“
Lina verdrehte die Augen. Weihnachtspullis waren in ihren Augen noch viel uncooler als die Normalen. Sie nahm ihren in die Hände, faltete ihn auseinander und besah ihn sich äußerst kritisch von allen Seiten.
„Ein Weihnachtsbaum?“, fragte sie angeekelt. „Ist das ihr Ernst? Wer soll denn sowas anziehen? Da wäre mir der Schwarze von Papa sogar lieber.“
„Und die müssen wir dann auch noch für Fotos anziehen.“, seufzte Mama.
„Das könnt ihr vergessen.“, beschwerte sich Lina. „Da mache ich nicht mit. Wenn das meine Freunde sehen, dann kann ich gleich einpacken. Dann bin ich unten durch.“
Mia grinste. Sie hatte plötzlich eine Idee, die sie Papa ins Ohr flüsterte. Er nickte kurz und verschwand ohne ein Wort in der nahen Abstellkammer. Er kramte ein wenig durch die Regale, dann kam er mit einem Pappkarton zurück.
Dann zog er sein Hemd aus, schlüpfte in Linas Weihnachtsbaumpullover und grinste nun ebenfalls.
„Passt als wäre er für mich gemacht.“
Er öffnete den kleinen Karton und holte ein paar bunte Weihnachtskugeln daraus hervor. Diese hängte er einzeln an die Maschen den Pullovers und verzierte ihn so noch zusätzlich.
„Jetzt sieht es auch wie ein echter Weihnachtsbaum aus.“, erklärte er. „Das Foto wird Oma bestimmt gefallen.“
„Weihnachtsbaum? Das ist eher ein Weihnachtsbauch.“, lachte Mama und piekte Papa mit dem Zeigefinger in seinen dicken Bauch.
Mit dieser Lösung konnte nun auch Lina leben. Sie zog den schwarzen Pullover an und ließ sich dann mit der ganzen Familie für Oma fotografieren.

(c) 2017, Marco Wittler

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