674. Das Weihnachtsglöckchen

Das Weihnachtsglöckchen

Die beiden Zwillingsschwestern Lena und Marie standen mit Mama und Papa im Wohnungsflur. Es kribbelte ihnen überall im Körper. Vom Kopf bis zu den Füßen, von den Fingern bis in die Zehenspitzen.
»Gleich ist es so weit.«, flüsterten sie sich immer wieder zu. »Gleich dürfen wir rein.«
Mit ‚rein‘ war natürlich das festlich geschmückte Wohnzimmer gemeint, in dem Papa am Vorabend einen großen Weihnachtsbaum aufgestellt hatte.
»Ob wir dieses Jahr artig genug waren, um ganz viele Geschenke zu bekommen?«, fragte sich Lena.
»Kannst du uns nicht wenigstens mal durch einen schmalen Türschlitz gucken lassen?«, bettelte Marie.
Aber da war Papa unerbittlich. »Nichts da.«, wehrte er den Versuch ab. »Ihr wisst doch, wie das läuft. Wir warten, bis das Christkind alle Geschenke unter den Baum gelegt hat und dann das kleine Glöckchen klingelt. Bis dahin müsst ihr leider warten.«
Den beiden Mädchen war die Enttäuschung anzusehen. Doch nach wenigen Sekunden kam die Vorfreude zurück, denn das Glöckchen war zu hören.
»Also dann.«, sagte Papa, rückte seine Krawatte zurecht und öffnete die Tür.
Sofort stürmten die Zwillinge an ihm vorbei. Doch kaum im Wohnzimmer angekommen, blieben sie verwirrt stehen.
»Was ist denn jetzt los?«, wunderten sie sich. »Wo sind die Geschenke?«
Tatsächlich. Unter dem mit Lametta und bunten Kugeln behangenen Weihnachtsbaum war nichts zu sehen. Es gab keine Geschenke.
Lena und Marie liefen aufgeregt durch den Raum und sahen in jeder Ecke nach. Nichts.
»Hm«, machte Papa nachdenklich. »Vielleicht hat das Christkind das Glöckchen versehentlich angestoßen und fallen lassen, bevor es fertig war und hat sich nun vor uns versteckt. Vielleicht sollten wir wieder in den Flur zurück gehen und noch etwas warten. Nur für ein paar Minuten.«
Also verließen sie das Wohnzimmer und warteten, bis nach wenigen Augenblicken das Glöckchen erneut ertönte.
»Nanu?«, wunderte sich Papa. »Wie kann das Christkind so schnell sein?«
Er öffnete die Tür einen Spalt breit und warf mit einem Auge einen Blick ins Wohnzimmer.
»Da brat mir doch einer ’nen Storch. Das sind immer noch keine Geschenke. Wer klingelt denn da die ganze Zeit?«
Verärgert schloss er die Tür wieder, sah seine Familie an und zuckte mit den Schultern.
Wieder klingelte es. Dabei waren nur wenige Sekunden vergangen. Wieder machte Papa einen Kontrollblick und wurde enttäuscht. Das wiederholte sich noch mehrere Male, bis Papa wütend wurde.
»Verdammt noch mal.«, machte er seinem Ärger Luft. »Es ist Weihnachten. Da spielt man keine bösen Streiche.«
Das Glöckchen läutete weiter und weiter. Doch nun verzichtete die Familie darauf, sie hereinlegen zu lassen.
Das Läuten wurde immer lauter, immer drängender.
»Ich geh da jetzt nicht mehr rein. Da will uns eh nur jemand auf den Arm nehmen.«, schmollte Papa und lehnte sich mit dem Rücken an die Tür.
Kurz darauf wäre er beinahe ins Wohnzimmer gestürzt, denn hinter ihm öffnete jemand die Tür.
Papa stand erschrocken auf und sah eine kleine Hand, die ihn in den Raum lockte.
Er folgte der Aufforderung, betrat das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Vor sich das er das Christkind, dass einen verlegenen Gesichtsausdruck machte.
Tut mir leid, dass ihr warten musstet. Ich war etwas spät dran, da haben sich zwei eurer Weihnachtskugeln einen Scherz erlaubt. Sie haben das Klingeln des Glöckchens nachgemacht.«
»Unsere Weihnachtskugeln?«
Papa wollte es zunächst gar nicht glauben. Doch dann sah er die zwei Kugeln, die sich vor Lachen die Bäuche hielten.
»Kommt nicht wieder vor, Großer.«, entschuldigten sich. »Aber es hat so viel Spaß gemacht.«
Da verflog auch Papas schlechte Laune. Er verabschiedete das Christkind und ließ dann seine Familie ins Wohnzimmer herein. Das Weihnachtsfest war gerettet.

(c) 2018, Marco Wittler

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*