944. Eine Geschichte vom Weihnachtsmann

Eine Geschichte vom Weihnachtsmann

Am Vorabend des Weihnachtsfests saß der Weihnachtsmann in seinem warmen Büro am Nordpol und las die letzten Wunschzettel, die ihn heute noch per Post erreicht hatten. Der letzte von ihnen kam von Maria, die einen ungewöhnlichen Wunsch aufgeschrieben hatte.

Lieber Weihnachtsmann.
Ich weiß, du hast in deiner Werkstatt sehr viel zu tun, denn jeden Tag erreichen dich sehr viele Wünsche aus der ganzen Welt. Die meisten möchten ein Spielzeug bekommen.
Ich wünsche mir von dir aber etwas ganz Besonderes. Ich wünsche mir von dir eine kleine Weihnachtsgeschichte. Das ist alles.
Liebe Grüße
deine Maria

Puh!
Der Weihnachtsmann atmete tief durch und schluckte. So einen Wunsch hatte er noch nie bekommen. Woher sollte er jetzt eine Weihnachtsgeschichte nehmen?
Er sah auf die Uhr. Es blieben nur noch wenige Stunden, bis er sich auf den Weg machen musste. Es war noch wahnsinnig viel zu erledigen. Eine Geschichte bis dahin schreiben? Ein Ding der Unmöglichkeit.
Er seufzte. Würde er in diesem Jahr wirklich ein Kind unglücklich machen müssen? Das war ihm gar nicht recht. Er musste sich etwas einfallen lassen.
Der Weihnachtsmann verließ das Büro, um die letzten Arbeiten zu überwachen. Währenddessen dachte er immer wieder über eine Geschichte nach.
Es kam der Moment des Aufbruchs. Die Rentiere waren vor den großen Schlitten gespannt und warteten ungeduldig. Der Sack mit den Geschenk war aufgeladen worden. Der Weihnachtsmann verabschiedete sich von seinen vielen Helfern und setzte sich auf seinen Platz. Während er nach den Zügeln griff und das Startkommando gab, hatte er ein flaues Gefühl im Bauch. Es war ihm noch immer keine Geschichte eingefallen, die er Maria mitbringen konnte.
»Ich habe noch ein paar Stunden Zeit, bis ich auf dem Dach ihres Hauses lande. Ich schaffe das bestimmt noch.«
Der Schlitten flog um die ganze Welt, der Geschenkesack wurde leerer. Irgendwann landete der Weihnachtsmann bei Maria. Kurz vor Sonnenaufgang war es das letzte Ziel auf seiner Reise.
»Ich werde ihr einen Teddybären schenken. Das ist besser als nichts. Ich bin einfach kein Geschichtenerzähler. Ich habe das noch nie gekonnt.«
Er kletterte durch den Kamin ins Haus und schlich sich durch das Wohnzimmer. Kurz bevor er sein Geschenk unter den Christbaum legen konnte, schaltete jemand das Licht an.
»Hallo Weihnachtsmann. Du bist zu mir gekommen.«
Marias Augen sahen ihn strahlend an. Der Weihnachtsmann schluckte, und lächelte sie an.
»Hast du mir eine Geschichte mitgebracht?«
Der Weihnachtsmann setzte sich langsam in einen Sessel, bat Maria, sich zu ihm auf die Armlehne und versuchte sich bei ihr zu entschuldigen.
»Das Leben als Weihnachtsmann ist ganz schön stressig. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele Kinder sich etwas von mir zum Weihnachtsfest wünschen.
Das ganze Jahr über stehen meine Helfer in der großen Werkstatt und bauen Spielzeuge. Ich sitze im Büro und lese Wunschzettel, die oft aus anderen Sprachen übersetzt werden müssen.«
Der Weihnachtsmann berichtete von seinen aufregenden Reisen um die Welt, vom Kampf gegen Schneestürme und strömenden Regen. Er konnte von aufregenden Abenteuern berichten, von Elefanten, die ihn gejagt hatten, von Kängurus, die ihm mit ihren Beuteln etwas Arbeit in Australien abnahmen und von seinen Teepausen in einem alten Leuchtturm mit einem einsamen Leuchtturmwärter.
»Mein Leben hat kaum Pausen. Deswegen ist es mir so unendlich schwer gefallen, dir eine Weihnachtsgeschichte zu schreiben. Es tut mir wirklich sehr leid, dass ich dir deinen Wunsch nicht erfüllen konnte.«
Maria lächelte den Weihnachtsmann an.
»Aber das hast du doch schon längst gemacht. Ich habe so viel über dich, deine Arbeit und deine Welt erfahren. Das war so spannend, dass ich gar nicht gemerkt habe, dass die Sonne schon aufgegangen ist. Das ist das beste Weihnachtsgeschenk, das ich je bekommen habe.«

(c) 2020, Marco Wittler

Image by OpenClipart-Vectors from Pixabay

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