1372. Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Fünf.
Der Countdown näherte sich seinem Ende.
Vier.
Im Kontrollzentrum wurden die letzten Knöpfe gedrückt.
Drei.
Der Antrieb wurde gezündet.
Zwei.
Ein Flammenmeer breitete sich nach allen Seiten aus.
Eins.
Die Besatzung schloss ihre Helme.
Null.
Unter lautem Donnern hob die Rakete vom Boden ab und raste dem Himmel entgegen. Nach fünfzig langen Jahren reisten wieder Menschen zum Mond.

Der dreitägige Flug zum nächsten Himmelskörper ließ die Aufregung und die Anspannung in den fünf Astronauten nicht weniger werden. Mit jeder Stunde kam die Kapsel dem Mond näher. Neben den großen Kratern, die man mit bloßem Auge von der Erde aus sehen konnte, kamen nun auch sehr viel kleinere in Sicht.
»Wir setzen jetzt den Kommunikationssatelliten aus und setzen dann zur Landung auf der dunklen Seite des Mondes an. Wir werden dann für eine Stunde nicht mehr erreichbar sein.«
Commander Scott legte das Funkgerät zur Seite. Sie schnallte sich an und befahl ihren Kollegen, es ihr gleich zu tun. Dann schleuste sie den Satelliten aus.
Es wurde dunkel um die Kapsel herum. Sie überflogen die Tag-Nacht-Grenze. »Leute, auf dieser Seite des Mondes ist noch kein Mensch zuvor gelandet. Wir werden heute also Geschichte schreiben.«
Scott hatte bereits die Handsteuerung übernommen und setzte sicher auf dem Mondboden auf. Die Landestützen sackten mehrere Zentimeter tief in den Staub ein, bevor sie Halt fanden. Dann schaltete das Triebwerk ab.
Die Besatzungsmitglieder kontrollierten ein letztes Mal die Raumanzüge, die sie angelegt hatten. Commander Scott öffnete die Zugangsschleuse und sprang nach draußen. Sie drehte sich zu den anderen Astronauten um. Einer von ihnen hielt diesen großen Moment filmisch fest.
»Ganz ehrlich, Leute.« Durch das Glas des Raumhelms war Scotts Gesicht zu erkennen. Sie grinste etwas schief. »Ich weiß ja, dass das ein großer Moment ist. Jeder auf der Erde erwartet große Worte von mir. Aber das war noch nie mein Ding. Obwohl ich drei Monate darüber nachgedacht habe, ist mir nichts eingefallen, dass in die Geschichte eingehen könnte. Also lasst uns einfach die Mission beginnen und uns umschauen.«
Sie schaltete ihre Helmscheinwerfer an, marschierte los, ging an ein paar kleinen Kratern vorbei und umrundete einen großen Felsen. Auf dessen Rückseite blieb sie wie angewurzelt stehen. Vor ihr saß ein kleines, graues Wesen, das gelangweilt Linien in den Staub malte. Als es die Astronautin vor sich erblickte, erhellte sich sein Gesichtsausdruck.
»Endlich kommt mal jemand.«, sagte das Wesen. »Ich habe schon gar nicht mehr damit gerechnet. Auf meiner Seite des Mondes ist die ganze Zeit so dunkel, seit mir die letzte Glühbirne durchgebrannt ist.«
Es sprang auf, schraubte die Birnen aus den Helmscheinwerfern und setzte sie in seine eigenen Lampen ein. Schon erstrahlte die dunkle Seite des Mondes in hellem Licht.
»Nichts zu danken.«, stotterte Scott. »Das wird mir doch nie jemand auf der Erde abkaufen.«

(c) 2022, Marco Wittler

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