Wie dem König ein Bär aufgebunden wurde
Der König saß gelangweilt in seinem Thron und gähnte, während ihm der Hofnarr verzweifelt ein Lächeln entlocken wollte. Doch das war alles andere als einfach.
»Ach, lasst es gut sein, werter Hofnarr. Ich kenne bereits jeden eurer Witze, jede eurer Vorführungen. Ich habe sie so oft gehört und gesehen. Es wird Zeit für etwas Neues.«
Der Hofnarr zog sich die bunte Mütze vom Kopf und seufzte. Was sollte er jetzt noch machen? Wenn nicht einmal er den König unterhalten konnte, wer dann?
»Ich habe eine Idee, euer Majestät. Ich werde ins Land hinausziehen und euch die lustigsten Geschichten sammeln, die es gibt. Ihr werdet euch vor Lachen den Bauch halten und euch am Boden kringeln.«
Der König legte die Stirn in Falten und dachte nach. Ein kaum sichtbares Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Er schüttelte den Kopf. »Ihr wollt mir doch einen Bären aufbinden. So eine lustige Geschichte gibt es nirgendwo auf dieser weiten Welt.«
Da riss der König die Augen auf. »Moment mal, das ist doch die Idee.«
Er ließ nach seinem Boten rufen, der eiligst in den Thronsaal kam.
»Bringt die Kunde aus, dass des Königs Wunsch es ist, ihm einen Bären aufzubinden, ohne dass er es bemerkt. Wem dies gelingt, soll reich belohnt werden.«
Und so geschah es. Täglich strömten große Menschenmassen in den Palast, einzeln trat man vor den König. Man erzählte ihm Witze berichtete von unglaublichen Dingen aus fernen Ländern und führte wagemutige Kunststücke und Zaubereien vor. Doch niemand schaffte es, den König hinter das Licht, gar ihm einen Bären aufzubinden.
»Nein, nein, nein. So wird das nichts. Ist denn niemand da, der es tatsächlich schafft, mir den geforderten Bären aufzubinden? Das kann doch nicht so schwer sein.«
Fortan waren es Zoodirektoren, fahrende Gaukler und Zirkusmenschen, die den Palast aufsuchten. Manche traten ganz offen auf, andere schlichen sich auf leisen Sohlen an den Thron heran. Sie alle hatten Bären dabei, von klein bis groß und in allen Farben, die man sich nur vorstellen konnte. Eisbären, Braun- und Schwarzbären, kleine und große Pandas, Bären mit und ohne Kragen, Grizzlys und Teddys.
Ein Händler war besonders einfallsreich. Er hatte versucht, dem König ein Toupé zu verkaufen, eine Perücke für seinen kahlen Kopf. Doch noch bevor das gute Stück auf dem Haupt abgelegt wurde, erkannte der König, dass man ihm kein Haarteil verkaufen wollten, sondern es ein lebendiger Biber war.
»Verdammt nah dran, mein Lieber, verdammt nah dran.«, lobte er. »Ich glaube, es wissen nicht viele, dass ein männlicher Biber auch Bär genannt wird.«
Am Abend öffneten sich ein letztes Mal für diesen Tag die Türen des Thronsaals. Ein kleines Mädchen trat ein und ging wortlos auf den König zu. Es setzte sich auf den Boden und schloss die Augen. Leise summt es ein Liedchen und bewegte sich zur Melodie hin und her.
»Möchtest du mir etwas sagen, mir vielleicht etwas erzählen oder zeigen?«
Das Mädchen unterbrach sich, öffnete die Augen und legte einen Finger an ihre Lippen. Dann setzte sie ihr Lied fort.
Der König beobachtete sie eine Weile fasziniert, verlor aber dann das Interesse.
»Wenn du mir keinen Bären aufbinden kannst, muss ich dich bitten zu gehen und jemand anderem die Chance zu geben.«
Das Mädchen wurde still und stand auf. »Euer Majestät, ich habe alles erfüllt, um das ihr gebeten habt. Ich habe euch schon vor einigen Minuten einen Bären aufgebunden, ohne dass ihr es bemerkt habt. Jetzt, da ich es euch gesagt habe, kommt ihr vielleicht selbst auf die Lösung.« Es begann zu grinsen, während sich der König verzweifelt umsah.
Und da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er hatte es sogar wahrgenommen, ohne darauf zu achten. Durch das Fenster war ein Schmetterling hereingeflogen und hatte sich auf seiner Schulter niedergelassen. »Das ist ein Schmetterling und wird Bär genannt.«
»Es ist ein schwarzer Bär.«, bestätigte das Mädchen.
»Eine echt verrückte Idee. Die ist richtig, richtig gut.«
Er klopfte sich mehrmals auf seinen Oberschenkel und lachte. »Du hast mir wirklich einen echten Bären aufgebunden. Damit hast du dir auch deine Belohnung verdient. Ich schenke dir das Wertvollste, dass es auf dieser Welt gibt, meinen Respekt und meine Freundschaft.«
(c) 2024, Marco Wittler
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