1590. Die Sonne hat Spaß oder »Papa, warum ist der Regenmantel eigentlich gelb?« (Papa erklärt die Welt)

Die Sonne hat Spaß
oder »Papa, warum ist der Regenmantel eigentlich gelb?«

Noch vor ein paar Stunden war der Himmel strahlen blau gewesen und die Sonne hatte mitten in ihm Platz genommen. Doch nun hatten sich dicke, graue Wolken zusammengefunden und es regnete in Strömen. Nach und nach füllten sich die Schlaglöcher in der Straße vor dem Haus und wuchsen zu ansehnlichen Pfützen heran.
Sofie hatte es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht und blickte nach draußen. »Dauert nicht mehr lang.«
Papa sah von seinem Buch auf, in das er bis eben noch vertieft war. »Was denn? Hört der Regen gleich wieder auf?« Er griff zum Handy und rief die Wetterapp auf. »Nein, kann nicht sein. Das Regengebiet ist so riesig, das wird nichts vor Morgen Abend.«
Sofie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin froh, dass es ganz viel regnet. Ich kann es kaum erwarten, endlich nach draußen gehen zu können. Ich möchte durch die Pfützen springen.« Sie grinste von einem Ohr zum anderen. »Sie sind gleich voll. Das wird bestimmt bis zum Mond spritzen, wenn ich da hinein hüpfe.«
Sie stand auf, ging in den Flur und nahm ihren Regenmantel vom Kleiderhaken. Noch bevor sie ihn anzog legte sie die Stirn in tiefe Falten.
»Papa, warum ist der Regenmantel eigentlich gelb wie die Sonne und nicht grau wie eine Regenwolke? Das würde doch viel besser passen.«
Sofies Neugierde war geweckt, während sich Papa am Kinn kratzte kratzte und nachdachte.
»Das ist eine sehr gute Frage. Dazu fällt mir eine Geschichte ein, die ich erst kürzlich gehört habe. Sie handelt zufällig von von der Sonne, vom Regen, natürlich auch von Pfützen und gelben Regenmänteln.«
Sofie strahlte über das ganze Gesicht.
»Oh ja, eine Geschichte.«
»Und wie fängt eine Geschichte immer an?«, fragte Papa.
Sofie lachte schon voller Vorfreude und antwortete: »Ich weiß es. Sie beginnt mit den Worten ›Es war einmal‹.«
»Ja, das stimmt. Absolut richtig. Also, es war einmal …«

Es war einmal ein wunderschöner Tag. Die Sonne stand am blauen Himmel und schickte ihre warmen Strahlen zur Erde hinab. Das lockte die Menschen ins Freie. Sie saßen in Parks, vertrieben sich die Zeit auf Wiesen oder schwammen ein paar Runden in kleinen Seen.
»Ach, ist das herrlich.«, freute sich die Sonne und genoss den Anblick. »Immer wenn ich da bin, schenke ich den Menschen Spaß. Das ist so unglaublich toll.«
Im Laufe des Tages kamen Winde auf. Sie brachten Wolken mit sich, die sie über dem Meer eingefangen hatten. Schnell ballten sich diese zusammen, krachten ineinander und türmten sich zu hohen, flauschigen Gebirgen auf.
Zuerst war die Sonne sehr enttäuscht, wurde ihr nun der Blick auf die Erde versperrt. Wie soll ich denn nun die Menschen beobachten? Doch dann fiel ihr etwas ein. »Ich habe noch nie in meinem langen Leben den Regen zu Gesicht bekommen. Neugierig bin ich ja schon ein wenig.«
Sie dachte nicht länger darüber nach, stattdessen schob sie vorsichtig die Wolken ein klein wenig auseinander, bis sich ein schmaler Sichtschlitz gebildet hatte.
»Ui, wie krass ist das denn?«
Die Menschen auf der Erde waren nicht, wie erwartet, in ihren Häusern verschwunden. Nein. Sie liefen durch die Straßen, tanzten im Regen und sprangen durch tiefe Pfützen.
»Da würde ich auch gern mal ausprobieren. Das schaut lustig aus.«
Die Sonne machte sich noch mehr Platz. Ließ sich durch die Wolken fallen und landete unsanft mit dem Po auf der Erde. »Dann mal los.« Sie nahm Anlauf, sprang und landete in einem leeren Schlagloch. Das Wasser, das bis eben noch eine Pfütze gefüllt hatte, war nicht zu allen Seiten davon gespritzt. Es war einfach durch die Hitze der Sonne verdampft. Deswegen konnte sie auch keinen einzigen Regentropfen auf sich spüren.
»Das glaube ich jetzt nicht. Das ist gemein. Ich möchte einfach nur mal Spaß haben.«
Traurig ging sie die Straße entlang, deren Asphalt um sie herum sofort trocknete, während ein paar Kinder in der Ferne jubelten und lachten.
»Ich muss den Regen irgendwie vor mir beschützen. Hm.«
Die Sonne kam an einem Bekleidungsgeschäft vorbei, in dessen Schaufenster ein paar graue Mäntel hingen. »Das ist es. Ich muss mich verkleiden. Wenn der Regen mich nicht mehr erkennt, wir er auch nicht verdampfen.«
Die Tarnkleidung war schnell gekauft. Zufrieden war die Sonne damit allerdings weniger. Das Grau des Stoffs war langweilig. »Ich besorge mir ein paar Sonnenblumen. Mit der Farbe ihrer Blütenblätter färbe ich den Mantel gelb. Dann schaut er immer noch nach Sonne aus, ohne so heiß zu wirken.«
Kurz darauf sprang sie mit einem lauten Lachen von einer Pfütze zur nächsten, dass das Wasser nur so spritzte.

»Und deswegen sind jetzt alle Regenmäntel gelb?«, fragte Sofie ungläubig.
»Papa, nickte. »Man erinnert damit an die Sonne. Man soll auch beim schlimmsten Wetter niemals vergessen, dass auf Regen immer Sonnenschein folgt.«
Sofie dachte nach und begann zu lachen. »Das war eine wunderschöne Geschichte. Ich glaube dir davon aber kein einziges Wort.«
Sie zog sich ihren Regenmantel über, schlüpfte in die Gummistiefel und verließ das Haus. Wie die Sonne in der Geschichte, sprang auch sie nun durch die Pfützen der Straßen.

(c) 2024, Marco Wittler

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