1592. Flaschenpostbote Knut hat Schmetterlinge im Bauch

Flaschenpostbote Knut hat Schmetterlinge im Bauch

Flaschenpostbote Knut trat vor den Spiegel, der im Büro des Flaschenpostamtes an der Wand hing. Heute zog er einmal nicht seine Uniform glatt, denn die hing unberührt an der Garderobe. Stattdessen vollzog er sein übliches Ritual an einem bunten Hawaiihemd, in das er nur an seinen freien Tagen schlüpfte. Er strich sich den dicken, grauen Schnurrbart glatt und setzte sich eine graue Schiebermütze auf den Kopf, die vor ein paar Jahren von einem Segelboot gefallen war und nun zu seinem Freizeitoutfit gehörte.
Er griff zur alten Umhängetasche, legte sich den breiten Gurt über die Schulter und stutzte. Es dauerte einen Augenblick, bis ihm klar wurde, was er soeben getan hatte und musste lachen. »Die Macht der Gewohnheit. Aber am Wochenende bleibt die Arbeit hier.«
Er verließ das Haus und schwamm zur Straße. Draußen wartete nämlich schon jemand auf ihn. »Bist du Flaschenpostbote Knut?«, fragte eine ältere Meerfrau mit langem, weißen Haar, das sie zu einem Zopf gebunden hatte.
»Heute nur Knut.«, antwortete Knut. »Der Flaschenpostbote hat heute dienstfrei. Bist du Arielle63?«
Sie nickte, lächelte und hielt hier Handy hoch, auf dem die Flunder Dating App geöffnet war. »Mein richtiger Name Sybille Seestern.«
»Hallo Sybille Seestern. Hast du vielleicht Lust auf einen Ausflug? Ich habe uns einen wunderschönen Platz ausgesucht.«
Sie hakte sich an Knuts Arm ein. Gemeinsam schwammen sie gemütlich aus der Stadt in Richtung eines kleinen Riffes.
»Ich bin hier schon als kleiner Junge hergekommen. Es ist einer meiner Lieblingsplätze.«
Sie kletterten an einem der Felsen hoch, durchbrachen dabei die Wasseroberfläche und machten es sich an der Wand eines kleinen Leuchtturms gemütlich.
In den nächsten Stunden redeten sie viel, lachten, erzählten. Die Chemie zwischen den beiden Meermenschen schien perfekt zu passen.
Als es Abend wurde, näherte sich die Sonne langsam dem Meer. »Wenn sie das Wasser berührt, kann man es in der Ferne ganz leise zischen hören. Dafür muss man aber leise sein.« Er grinste. Sie grinste zurück. Die Sonne traf auf das Wasser. Gleichzeitig zischten Sybille Seestern und Knut leise.
»Das Allerbeste kommt aber noch. Das werden wir aber bei einem leckeren Abendpicknick genießen.« Knut holte hinter dem Leuchtturm einen Korb hervor, den er noch vor dem Treffen hier deponiert hatte. Er verteilte mehrere Schüsseln mit Leckereien und bot sie seiner Begleiterin an. Sie aßen, blickten dabei in die Ferne, bis der Mond und die ersten Sterne erschienen. »Jetzt gleich.«
Im Leuchtturm klickte etwas. Gleichzeitig flammte ein besonders helles Licht auf, als wäre gerade eine kleine Sonne geboren worden. »Was für ein wundervoller Ort. So romantisch. Kein Wunder, dass du es hier so liebst.« Sybille war begeistert.
Die Meerfrau griff zum Glas mit dem Algenwein, nahm einen großen Schluck. Plötzlich sah sie etwas gequält aus. Knut begriff sofort. Schnell trank er auch etwas und rülpste, so laut er nur konnte. Die Fenster des Leuchtturms begannen zu zittern. Sybille öffnete nun auch ihren Mund, rülpste ebenfalls. »Danke. Ich sehe, wir verstehen uns.« Sie grinste Knut an. »Ich glaube, meiner war gewaltiger.«
Sie hielten sich an den Händen, lachten und rülpsten immer wieder um die Wette, bis die Nacht allmählich ein Ende fand.

(c) 2024, Marco Wittler

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