203. Geist sucht Schloss

Geist sucht Schloss

Herr Simon saß in seinem Wohnzimmer und las die Zeitung. Das war seine Lieblingsbeschäftigung. Er kam am Nachmittag von der Arbeit, kochte sich eine Tasse Kaffee und setzte sich dann zum Lesen in seinen Sessel.
»Wie herrlich das duftet.«
Er nahm einen großen Schluck und las weiter. Doch weit kam er nicht, denn er hörte ein verdächtiges Geräusch. Irgendwer schien sich im Haus zu befinden.
»Hallo?«, rief Herr Simon.
»Ist da jemand?«
Die Schritte verstummten. Es war wieder still.
War alles nur eine Sinnestäuschung gewesen? Herr Simon war sich nicht sicher. Aber dann war er sich sicher, dass nur er selbst einen Haustürschlüssel besaß. Er blätterte eine Seite weiter und überflog die Todesanzeigen.
Doch was war das? Schon wieder ein Geräusch? War doch jemand im Haus?
Herr Simon legte die Zeitung leise zur Seite, stellte den Kaffee auf den Tisch und stand auf. Er hielt die Hand ans Ohr und schlich von Raum zu Raum.
In der Küche war nichts zu hören. Auch im Badezimmer war alles still. Im Schlafzimmer war es ganz friedlich und im Büro war niemand zu entdecken.
»Das scheint vom Dochboden zu kommen.«, sagte sich Herr Simon.
Er blickte im Flur zur Decke. Dort war die Einstiegsluke. Er öffnete einen Schrank, holte eine Stange heraus und zog die Bodentreppe herunter. Auf ihr stieg er Stufe für Stufe nach oben.
Vorsichtig steckte er den Kopf durch die Luke und sah sich um.
»Wer ist da?«
Es kam keine Antwort.
»Ich bin bewaffnet und kann mich wehren.«
Doch so sehr er auch in seiner Hosentasche suchte, es war nichts zu findet, womit er einen Einbrecher bedrohen konnte.
Die Geräusche waren nun wieder verstummt. Deswegen stieg Herr Simon den Rest der Treppe hinauf und schaltete das Licht an.
In diesem Moment verschwand etwas hinter einer Kiste und versteckte sich.
»Wer ist da?«
Doch der Fremde antwortete nicht.
Herr Simon sah sich um und fand einen alten Regenschirm, den er sich nun schnappte. Einen Schlag damit würde den Einbrecher zwar nicht verletzen, aber wenigstens etwas verwirren.
Langsam schlich Herr Simon auf die Kiste zu. Als er direkt davor stand, sprang er hoch und wollte dem Fremden einen Hieb versetzen. Doch dann erlebte er eine Überraschung.
»Bitte schlagen sie mich nicht.«, war eine unheimliche Stimme zu hören.
»Du meine Güte.«, rief Herr Simon entsetzt.
»Ich habe einen Geist auf meinem Dachboden.«
Er ließ den Regenschirm fallen und wollte sofort weg laufen, doch dann flog der Geist um ihn herum.
»Haben sie bitte keine Angst. Ich werde ihnen nichts tun.«
Herr Simon beruhigte sich. Nun konnte er eh nicht mehr fort laufen.
»Mein Name ist Theodor von Geisterfels. Ich bin auf der Suche nach einem neuen Heim.«
Sofort schüttelte Herr Simon verzweifelt den Kopf.
»Du kannst auf keinen Fall in meinem Haus bleiben. Was sollen denn die Leute denken. Die werden mich bestimmt für verrückt erklären. Außerdem gehört ein Geist in eine Burg.«
Theodor blickte traurig zum Boden.
»Meine Burg gibt es nicht mehr. Sie ist mit den Jahrhunderten baufällig geworden und wurde vor einer Woche abgerissen. An ihrer Stelle soll ein modernes Hotel gebaut werden. Dort ist man dann als Gespenst völlig unerwünscht.«
Der Geist schniefte leise, nachdem er in sein Bettlaken geschnäuzt hatte.
»Dann werde ich mir wohl eine andere Bleibe suchen müssen.«
Theodor schwebte fort und verschwand durch die Wand. Doch da gab es ein Problem. Seine Geisterkette knallte dabei gegen das Gemäuer und ließ den Putz herab bröseln.
»Was ist denn das?«, fragte sich Herr Simon.
Er sah sich die Beschädigung genauer an. Unter dem Putz tauchten ein altes Wappen und eine Jahreszahl auf.
»1654, Schloss Felsenburg.«
Er kratzte sich am Kinn. Doch dann fiel ihm etwas ein.
»Mein Haus ist Teil des alten Stadtschlosses. Das wusste ich gar nicht. Das ist ja eine Überraschung.«
In diesem Moment tauchte der Geist wieder auf.
»Du lebst in einem alten Schloss? Dann kann ich ja doch auf deinem Dachboden bleiben.«
Herr Simon lachte.
»Es sieht wohl ganz so aus.«
Von diesem Tag an war Herr Simon nicht mehr allein in seinem Haus. Nun saß er jeden Tag nach der Arbeit mit seinem Freund Theodor im Wohnzimmer. Gemeinsam tranken sie Kaffee, lasen zusammen in der Zeitung und rasselten hin und wieder nacheinander an der Geisterkette.

(c) 2009, Marco Wittler

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