256. Du stehst auf meinem Parkplatz

Du stehst auf meinem Parkplatz

Tim stand hinter der Haustür und sah durch die Glasscheibe nach draußen. In wenigen Augenblicken würde Papa um die Ecke biegen. Feierabendzeit.
»Gleich ist er da. Gleich können wir zusammen in den Keller gehen und an meiner Seifenkiste arbeiten.«
Da erklang ein leises Brummen, dass schnell lauter wurde. Ein grauer Wagen bog um die Ecke. Tim juchzte laut. »Da ist er endlich.«
Er öffnete die Tür, lief auf den Gehweg und winkte aufgeregt.
»Hallo Papa. Hier bin ich. Hallo.«
Papa parkte vor dem Haus, schaltete den Motor ab und stieg aus. In diesem Moment bog ein zweiter Wagen in die Straße und blieb ebenfalls vor dem Haus stehen. Darin saß der neue Nachbar, der in einer anderen Wohnung des Hauses eingezogen war.
»Du stehst auf meinem Parkplatz.« sagte dieser grimmig.
Papa wurde etwas unsicher und trat von einem Bein auf das andere. »Das ist doch eine öffentliche Straße. Jeder darf hier parken, wo er möchte. Außerdem war ich zuerst da.«
Der andere Mann stieg auf, legte ein finsteres Gesicht auf und wiederholte seine Worte etwas lauter.
»Du stehst auf meinem Parkplatz.«
In seiner dunklen, nietenbesetzten Lederjacke und den hohen Motorradstiefeln sah er sehr bedrohlich aus. Als er dann auch noch einen Schritt nach vorn machte, bekam Papa Angst.
»Ist schon in Ordnung. Ich kann meinen Wagen auch woanders parken.«
Schnell setzte er sich wieder hinter das Lenkrad und fuhr in eine Seitenstraße.

Von nun an wiederholte sich diese Sache jeden Abend aufs Neue. Papa kam nach Hause, parkte und wurde nur wenige Minuten später von dem fiesem Rocker verjagt.
»So kann das doch nicht weiter gehen.« beschwerte sich Tim eine Woche später. »Der Mann kann das doch nicht einfach mit dir machen. Das ist unfreundlich.«
»Das ist ihm egal.« antwortete Papa. »Und deswegen wird er damit auch nicht aufhören. Ich werde ab Morgen sofort woanders parken. Dann gibt es wenigstens keinen Ärger mehr.«
Tim dachte etwas nach. »Vielleicht fällt mir ja eine Lösung ein.«

Am nächsten Abend parkte Papa seinen Wagen tatsächlich direkt in der Seitenstraße. Das lag aber auch daran, dass vor dem Haus fünf Kinderfahrräder standen.
In diesem Moment kam auch schon der Nachbar um die Ecke gebogen. Er wollte gerade sein Auto vor dem Haus abstellen, als er sah, dass der Platz bereits belegt war. Wütend stieg er aus und brüllte zum Haus hinüber.
»Wem gehören die Fahrräder? Wenn die nicht in zehn Sekunden verschwunden sind, gibt es riesigen Ärger.«
Er wollte bereits eines der Räder zur Seite treten, als sich die Haustür öffnete. Fünf Jungs in dunklen Jacken, alle eine schwarze Sonnenbrille auf der Nase, kamen auf den Gehweg raus, bauten sich nebeneinander auf und verschränkten die Arme vor der Brust.
»Das ist unser Parkplatz. Nur wir entscheiden, wer hier parken darf und wer nicht.« sagte Tim mit lauter Stimme. »Wenn dir das nicht passt, bekommst du Probleme mit uns.«
Einer der Jungs trat mit dem Fuß gegen einen Stein, kickte ihn gegen einen Baum und spuckte verächtlich auf den Boden.
Der Nachbar sah die Jungs völlig überrascht an. Für einige Sekunden stand er völlig unbeweglich neben seinem Wagen, bis er schließlich zu lachen begann.
»Jungs. Eure Gang ist voll in Ordnung.« Er streckte ihnen einen hoch erhobenen Daumen entgegen.
»Der Parkplatz gehört euch. Ich werde schon einen anderen finden.« Dann stieg er ein und parkte in der Seitenstraße.

(c) 2014, Marco Wittler

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