661. Zur Adventszeit in der Stadt

Zur Adventszeit in der Stadt

Mitten auf dem Marktplatz saß ein alter, dicker Mann mit langem Bart saß in einem schweren, grauen Mantel auf einer Bank. In seinen Händen hielt er einen Becher süßen Punsch, den er in kleinen Schlucken trank und genoss. Dabei sah er immer wieder den kleinen warmen Wölkchen nach, die er in die kalte Luft ausatmete.
Um ihn herum war ein großer Weihnachtsmarkt aufgebaut. An den vielen Buden gab es zu Essen, zu Trinken und verschiedene Dinge, die man seinen Lieben kaufen und schenken konnte.
Doch bis auf den alten Mann nahm sich kaum jemand die Zeit, es sich hier gemütlich zu machen. Die vielen Bänke und Tische blieben leer. Stattdessen hetzten die Menschen von Bude zu Bude, von Laden zu Laden, von Geschäft zu Geschäft.
Niemand hatte die Geduld, sich schön geschmückte Weihnachtsbäume anzusehen, einem Weihnachtschor zuzuhören oder einem Krippenspiel zuzuschauen.
Jeder war auf dem Weg die letzten Einkäufe vor dem Fest zu besorgen, seien es lieb- und einfallslose Geschenke oder Zutaten für das Essen.
Weihnachtlich war irgendwie niemandem so wirklich zu Mute. Jedenfalls hatte der alte Mann diesen Eindruck. Er seufzte leise vor sich hin.
Irgendwann kam eine Frau auf den Marktplatz gestürmt. An einer ihrer beiden Hände zog sie ein Kind hinter sich her. Ihr Gesichtsausdruck war grimmig.
»Jetzt komm schon.«, schimpfte sie immer wieder. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Ich kann nicht immer stehen bleiben, wenn du was in den Schaufenstern siehst. Ich habe noch genug zu erledigen, bevor wir Weihnachten feiern.«
Dann wurde sie noch einen Schritt schneller, während ihrem Kind die ersten Tränen an den Wangen herab rannen.
»Und hör endlich auf zu heulen. Das hält man ja nicht aus.«
Nun verfinsterte sich auch der Blick des alten Mannes. Er strich sich seinen langen, weißen Bart glatt, stand von seinem Platz auf und stieg auf die Bank. Seine schweren, schwarzen waren dabei so laut, dass sie über den ganzen Marktplatz donnerten.
Der Alte legte seinen grauen Mantel ab, unter dem ein viel glanzvollerer in roten und weißen Farben zum Vorschein kam. Eine passende Mütze setzte er sich auf dem Kopf.
Die Menschen ringsum blieben ehrfurchtsvoll stehen und sahen ihn an. Jeder von ihnen hatte den Mann erkannt.
»Ho, ho, ho!«, rief der Alte.
»Ja, ihr seht richtig. Ich bin der Weihnachtsmann. Es ärgert mich, dass es hier niemanden gibt, der noch daran denkt, was Weihnachten wirklich bedeutet. Ihr seid alle nur noch Stress. Ich wollt kaufen, kaufen, kaufen. Wer von euch ist denn noch besinnlich oder nimmt sich Zeit zum Feiern und für die angenehmen Dinge des Lebens?«
Der Weihnachtsmann seufzte.
»Wenn es so mit euch weiter geht, dann wird es irgendwann kein Weihnachtsfest und keinen Weihnachtsmann mehr geben.«
Die Menschen sahen peinlich betreten zu Boden. Sie erkannten ihren Fehler und wussten nicht, wie sie nun reagieren sollten.
Der Weihnachtsmann grinste und winkte sie alle zu sich.
»Na los. Kommt schon her. Lasst uns gemeinsam feiern. Es ist schließlich bald Weihnachten. Lasst uns zusammen Punsch trinken und Spaß haben.«
Und schon verwandelte sich die Hektik des Marktplatzes in Frohsinn und Heiterkeit. Die Menschen vergaßen, was sie noch zu erledigen hatten und bekamen deswegen nicht mal ein schlechtes Gewissen.
Selbst das kleine, weinende Kind war wieder glücklich. Es saß auf den Schultern des Weihnachtsmanns und ließ sich immer wieder im Kreis um die kleinen Weihnachtsbuden tragen.

(c) 2018, Marco Wittler

WERBUNG: Diese Geschichte ist Teil des Adventskränzchens 2018. Zum heutigen Thema „Advent in der Stadt“ nehmen noch andere Blogger teil. Deren Beiträge findest du hier:

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