662. Die eingebildete Weihnachtskerze

Die eingebildete Weihnachtskerze

Ein paar Wochen vor der Adventszeit ging eine kleine Familie einkaufen. Sie wollten für die kommende Zeit die Wohnung besonders schön herrichten und schmücken. Im Einkaufswagen landeten nicht nur die Lichterkette, Lametta und bunte Kugeln für den Baum, sondern auch ein Adventskranz und eine besonders schöne Weihnachtskerze.
Nachdem die Familie wieder zu Hause angekommen war, stellte die Mutter den Adventskranz auf den Esstisch und verstaute alles andere sorgfältig in einem Schrank.

Die Tage verstrichen, die Zeit ging dahin. Schon bald stand auf dem Kalender der erste Advent. Also wurde auf dem Esstisch das erste Adventslicht angezündet.
»Du meine Güte!«, flüsterte die Weihnachtskerze erschrocken. »Die Menschen verbrennen die anderen Kerzen. Das hätte ich nicht erwartet. Das darf mit mir nicht geschehen. Dafür bin ich viel zu schön.«
Schnell versteckte sie sich tiefer im Schrank und schob mehrere Bücher vor sich, um auf keinen Fall entdeckt zu werden. Dabei musste die Weihnachtskerze immer wieder daran denken, wie schrecklich sie aussehen würde mit schwarzem Docht und weg gebranntem Wachs.

Es kam der zweite, danach der dritte und auch der vierte Advent. Nach und nach wurden alle Adventslichter entzündet. Die Weihnachtskerze war immer mehr schockiert und versteckte sich noch mehr. Sie wollte auf keinen Fall gefunden werden.

Am Weihnachtsabend saß die kleine Familie gemütlich um den Esstisch herum. Sie alle waren festlich gekleidet. Vor ihnen standen gefüllte Teller, die herrlich dufteten.
Da niemand von ihnen die Weihnachtskerze hatte finden können, war kurzerhand eine neue gekauft worden. Diese stand nun mitten auf dem Tisch.
»Es wird Zeit.«, sagte die Mutter lächelnd.«
Sie holte ein langes Streichholz hervor und entzündete die neue Kerze.
Die alte Weihnachtskerze freute sich. Sie hatte das Weihnachtsfest unbeschadet überlebt. Sie würde keinen Kratzer abbekommen, ihr Docht würde strahlend weiß bleiben und keinen Tropfen Wachs verlieren.
Doch dann sah sie etwas, dass ihr einen Stich ins Herz versetzte. Die neue Kerze strahlte ihr helles, warmes Licht im ganzen Raum. Die Familie hielt sich an den Händen. Sie sangen ein Weihnachtslied nach dem anderen und waren überglücklich, diesen Augenblick gemeinsam zu erleben.
Da spürte die Weihnachtskerze, dass sie einen Fehler begangen hatte, dass ihre Eitelkeit sie davon abgehalten hatte, dieses wundervolle Weihnachten mitzuerleben.
Traurig zog sie sich in die hinterste Ecke des Schrankes zurück, damit niemand ihre Tränen sehen konnte, die nun an ihr herab kullerten.

(c) 2018, Marco Wittler

WERBUNG: Diese Weihnachtsgeschichte ist Teil des Blog-Adventskränzchen 2018. Weitere Beiträge zum Thema „Kerzenschein“ findest du hier:

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