665. Überraschung im Stiefel

Überraschung im Stiefel

Der Nikolaus war schon eine ganze Weile unterwegs. Er sah auf seine Uhr. Zehn Stunden waren es schon. Eine ganze Reihe Länder hatte er besucht. Seine lange Reise hatte ihn bereits um die halbe Erde geführt. Unzähligen Kindern hatte er schon eine Freude bereitet – natürlich nur den artigen Kindern, die sich das ganze letzte Jahr gut benommen hatten. Die anderen überließ er seinem Partner, dem Knecht Ruprecht.
Vor vielen Haus-, Wohnungs- und Kinderzimmertüren standen blitzblank geputzte Stiefel, die nur darauf warteten, mit einer kleinen, süßen Leckerei gefüllt zu werden. Was der Nikolaus dort hinein legte, machte er von den Einträgen in seinem goldenen Buch abhängig.
Gerade war er in einem Hochhaus in einer deutschen Großstadt angekommen. Über zwanzig Stockwerke verteilten sich sehr viele Türen. Hinter fast jeder davon lebte mindestens ein Kind.
Der Nikolaus stand im Erdgeschoss und sah nach oben.
»Uff.«, stöhnte er und sah wieder auf die Uhr. »Das wird anstrengend. Jetzt muss ich meinen dicken Bauch und dem schweren Sack nach ganz da oben schleppen. Wenn ich doch bloß die letzten Monate im Fitnessstudio trainiert hätte. Aber dafür war ich ja mal wieder viel zu faul.«
Er trat vor die erste Tür, sah in seinem goldenen Buch nach und legte in zwei Stiefel je eines seiner Ebenbilder aus Schokolade hinein.
An der nächsten Tür schüttelte er seufzend den Kopf.
»Ach je. Der Ben mal wieder. Ich glaube, der Junge ist ein hoffnungsloser Fall. Der hat sich dieses Jahr wieder nicht gebessert. Da hat nicht mal der Ruprecht etwas gebracht. Was soll ich bloß mit ihm machen?«
Er dachte eine Weile nach, rang mit sich und seinem Gewissen. Am Ende griff er aber doch in seinen Sack und holte ein Tütchen mit Schokoladenkugeln hervor.
‚Als kleinen Ansporn für das nächste Jahr‘ schrieb er darauf und legte es in den Stiefel.
Und dann arbeitete er sich weiter nach oben durch. Er hielt hier, er hielt dort. Manchmal vergab er nur ein kleines Geschenk, manchmal hinterließ er eine kleine Botschaft.
Der Nikolaus wusste genau, dass seine aufmunternden Briefe nichts bei den unartigen Kindern bewirken würden. Aber er hatte halt ein sehr großes und weiches Herz. Er konnte einfach nicht anders.
Irgendwann hatte er die oberste Etage und die letzte Tür in diesem Hochhaus erreicht. Erschöpft setzte sich der Nikolaus auf den Boden neben den letzten Stiefel. Er nahm sein goldenes Buch auf den Schoß und blätterte durch die Seiten.
»Wo ist sie denn?«, suchte er nach einem bestimmten Namen. »Wo ist die kleine Mia geblieben?«
Er fand den richtigen Eintrag, der aber alles andere als ausführlich war.
‚Mia ist okay‘ stand dort.
»Wie? Was? Nur okay? Was soll denn das? Sowas hab ich hier drin noch nie gelesen. Da haben meine kleinen Helfer aber schlampig gearbeitet. Wie soll ich denn jetzt entscheiden, welches Geschenk für Mia das Passende ist?«
Er seufzte und dachte angestrengt nach. Dabei sah er auf Mias Stiefel und wunderte sich.
»Moment mal. Steckt da schon was drin? Wer hat denn da meine Arbeit übernommen?«
Er griff nach dem Stiefel und zog ein kleines Päckchen daraus hervor.
‚Für den Nikolaus – Von Pia‘ war darauf geschrieben.
»Für mich?«, wunderte sich der Nikolaus. »Ich habe noch nie bei der Arbeit ein Geschenk bekommen.«
Mit vor Aufregung zitternden Fingern zog er die kleine rote Schleife auf und riss das goldene Geschenkpapier auseinander. Darin steckte ein Holzkästchen.
»Man, ist das aufregend.«, wurde die Spannung immer größer.
Er öffnete den Deckel und holte eine kleine Schneekugel hervor. Darin standen zwei Figuren. Die eine sah so aus wie …
»Mensch, wie cool. Das bin ja ich. Und wer ist das?«
Die andere Figur war ein kleines Mädchen, dass die Hand des Nikolaus hielt. Es winkte dem echten Nikolaus lächelnd zu.
»Das muss die kleine Mia sein. Was für ein süßes Geschenk. Das ist echt goldig.«
Er sah noch einmal in das Kästchen und fand einen Zettel, den er sich durchlas.
»Lieber Nikolaus. Vielen Dank, dass es dich gibt und du jedes Jahr Geschenke für uns mitbringst. Ich hoffe, dass mir mein kleines Dankeschön gefällt. Liebe Grüße, deine Mia.«
Der Nikolaus wischte sich eine Träne von der Wange. So etwas Tolles hatte er noch nie erlebt.
»Dieses Kind hat ein ganz Besonderes Geschenk verdient.«
Er zog seinen Sack zu sich und holte einige Dinge daraus hervor. Ein Schokoladennikolaus, ein Tütchen mit Schokoladenkugeln, einen kuscheligen Teddybär mit roter Weihnachtsmütze und ein Buch mit den schönsten Adventsgeschichten.
»Ach je. Wohin nur damit? Mias Stiefel ist viel zu klein. Hm.«
Er sah sich um, fand aber nichts Größeres.
»Ich hab da eine Idee.«
Er zog einen seiner beiden großen, schwarzen Stiefel aus und stellte ihn mit den Geschenken gefüllt vor die Tür. Dann machte er sich wieder auf den Weg zurück nach unten und zum nächsten Haus.
Mit einem glücklichen Gefühl im Herzen setzte er seine Tour um die Welt fort.

(c) 2018, Marco Wittler

WERBUNG: Diese Weihnachtsgeschichte ist Teil des Blog-Adventskränzchen 2018. Weitere Beiträge zum Thema „Im Nikolausstiefel“ findest du hier:

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